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Wassertreibende Kreuze

Gehen ist wie Eiskunstlaufen: Immer Haltung bewahren und langsam hocharbeiten

  • Lesedauer: 5 Min.

Diejenigen, die im Gehen eine Art Eiskunstlaufen sehen, tun das weniger wegen des eleganten Hüftschwungs, der für diesen Sport typisch ist, als vielmehr wegen der Subjektivität der Wertung. Der 21jährige Berliner Andreas Erm kann es zwar noch immer nicht glauben, daß man sich auch in der Hierarchie des Gehens erst hocharbeiten muß und er denkt, daß ihn einfach viele nur über seine Disqualifikation hinwegtrösten wollen.

Andererseits ist auch ihm aufgefallen: Alle, die heute in der Spitze sind, haben am Anfang bei wichtigen Meisterschaften mindestens ein- oder zweimal die rote Karte gesehen. So auch der neue 20-km-Weltmeister Daniel Garcia aus Mexiko, der sowohl bei den WM von 1993 als auch von 1995 disqualifiziert wurde. Garcia: »Daraufhin habe ich hart an meiner Technik gearbeitet.« Schließlich ist er auch Geher-Trainer.

Besonders hart muß eine Disqualifikation aber für einen Geher sein, wenn er

sich keiner Schuld bewußt ist wie Andreas Erm. Der Junioren-Europameister von 1995, der vor drei Wochen bei der U 23-EM den fünften Platz belegt hatte, freute sich wie ein Schneekönig über Rang 15, und noch auf der Zielgeraden hatte er einen Schritt zugelegt, um sich um zwei Plätze zu verbessern.

Das hätte er lieber bleiben lassen sollen, denn genau dieser Schlußspurt wurde sein Verhängnis. Laut Kampfgericht verletzte er dabei jenes oberste Prinzip, womit das Gehen sich vom Laufen unterscheidet. Paragraph 191, Punkt 1, der IAAF-Regeln schreibt nämlich vor, daß ein Geher ständigen Kontakt zum Boden halten muß, das heißt: Das eine Bein darf den Boden erst verlassen, wenn das andere aufgesetzt hat. Allerdings wußte Erm zu diesem Zeitpunkt auch nicht, daß er bereits zwei Verwarnungen hatte.

Die eine erhielt er auf der Strecke au-ßerhalb des Stadions, doch die andere war ihm nicht bewußt, und er soll sie das genaue Protokoll kannte er am Sonn-

tag noch nicht - im Verlauf der letzten Runde im Stadion erhalten haben. Eine solche Geheimniskrämerei erstaunt dann aber doch, denn die Leichtathletik ist ansonsten ja geradezu von Technik überfrachtet. Im Gehen hingegen beruft man sich nach wie vor auf das menschliche Auge, vermutlich deshalb, weil eine Kamera zutage fördern würde, daß über so eine lange Strecke überhaupt kein Mensch hundertprozentig stilrein gehen kann, was - wie in der Vergangenheit mehrfach schon geschehen - sofort den Ruf nach sich ziehen würde, daß man eine Angelegenheit, die nicht völlig kontrollierbar ist, am besten gleich abschaffen sollte.

Um genau das zu verhüten und das Gehervolk zu disziplinieren, stehen dem Kampfrichter zwei Formen eines Strafkatalogs zur Verfügung. Er darf Ermahnungen erteilen, wofür er zwei Kellen hat. Die eine, die eine Wellenlinie zeigt, signalisiert dem Athleten »Bodenkontakt halten!«, die andere, die einen Winkel

trägt, fordert »Knie durchdrücken!«, eine andere Grundforderung des sportlichen Gehens. Solange der Funktionär aber nur ermahnt, bleibt das wirkungslos. Ernst wird die Sache bei einer Verwarnung, denn drei solcher Kreuze bedeuten den Rausschmiß; dieser allerdings muß erst beim Chefkampfrichter beantragt werden. Natürlich gibt es aber auch Athleten, die ein schlechtes Image haben und auf die demzufolge das Argusauge besonders scharf schaut.

Der Witz an der Sache: Es kann durchaus passieren, daß ein Geher ins Ziel gelangt, der völlig von seiner Unbescholtenheit überzeugt ist, wie das 1978 in Prag dem Berliner Klaus Stadtmüller geschah. Eine halbe Stunde sonnte er sich im Ruhm eines 20-km-Europameisters, ehe er von seiner Disqualifikation erfuhr. Doch das war völlig rechtens wie auch das Aus für Andreas Erm. »Wenn es undurchführbar ist, einen Geher während des Wettkampfs von seiner Disqualifikation zu unterrichten, dann kann die Disqualifikation auch erteilt werden, wenn der Wettkämpfer im Ziel ist«, heißt es in der Regel. Das klingt zwar ziemlich gemein, doch die Alternative sind wohl solche Szenen wie bei den Stuttgarter WM, als ein italienischer Ordnungshüter wie wild geworden durch das Stadion sprintete, um noch auf den letzten Metern Geher herauszuschmeißen. Einen erwischte er damals direkt auf der Ziellinie; es war übrigens ein Landsmann.

Andreas Erm sah die rote Karte zeitverzögert auf dem Weg zur Toilette, zu der er geleitet wurde. Dopingkontrolle und Disqualifikation - das war dann aber doch zuviel für einen so jungen Mann. Und es wirkte stark wassertreibend. Zum Glück nur in den Augen. 24 Stunden später konnte er aber wenigstens schon wieder lächeln. Foto: Archiv

Der Deutsche Meister im 20 km Gehen, Robert Ihly (Offenburg), muß zwei Tage nach seinem elften Platz schon wieder abreisen. Am Dienstag fliegt er nach St. Petersburg, wo er von seinem Arbeitgeber als Inspektor eingesetzt ist. »Der Beruf geht vor, mit Gehen ist kein Geld zu verdienen«, sagte Ihly

Die Temperaturen im Olympiastadion erreichten bereits am Vormittag über 30 Grad im Schatten, und in der Sonne stiegen sie auf der Laufbahn auf bis zu 45 Grad. Aber nach den heißen Sommerspielen von Atlanta und Barcelona haben sich die meisten Sportler an diese Bedingungen gewöhnt.

Die IAAF wird möglicherweise Olympiasieger Haue Gebrselassie einen Sonderwunsch erfüllen. Der Äthiopier hatte angesichts der hohen Temperaturen und der harten Tartanbahn vorgeschlagen, die Bahn vor dem 10 000-m-Lauf am Mittwoch zu wässern. »Das würde die Bahn weicher machen«, erklärte Gebrselassie sein Anliegen. Bei seinem Olympiasieg in Atlanta hatte er sich die Füße wundgelaufen und befürchtet in Athen einen ähnlich strapaziösen Lauf.

Voller Begeisterung kommentierte IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch die Eröffnung der WM. »Das war die beste Feier, die ich in meinem Leben gesehen habe«, sagte der Spanier

Zehnkämpfer Frank Busemann mußte sich wegen seiner Hüfbeschwerden einer ärztlicher Behandlung unterziehen.

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