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Totschläger und Ehrenbürger

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 2 Min.

Erich Honecker, der gestern 85 geworden wäre, hatte vor fünf Jahren seine Erklärung vor dem Gericht in Berlin mit den Worten beendet. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können!« Daran haben sich Politik und Justiz gehalten, Krenz und seine Ex-Genossen verurteilt.

Der Wille zur Bestrafung war seit langem erkennbar, die Vorverurteilung durch die Politik (Justizminister Kinkel) erfolgt, der junge, an Leben und Laufbahn denkende Richter gestern überfordert, weil politisch genötigt. Den Kern der juristischen Herausforderung - strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt individuell nachweisbare und strafrechtlich belegbare individuelle Taten voraus - konnte auch er nicht knacken. Der Beweis, daß Krenz, Kleiber und Schabowski Totschläger sein sollen, steht aus, ebenso wie die Frage offen bleibt, ob als nächstes Totschlagvorwürfe gegen Gorbatschow und Genossen erhoben werden.

Wie soll es zusammengehen, daß die Repräsentanten der Sowjetunion, die eingestandenermaßen den Mauerbau verantwortete, im vereinten Deutschland zu Ehrenbürgern geschlagen und jene, die oft genug als »Lakaien« und »Marionetten« Moskaus« belegt wurden, nun zu Herren des Schicksals geadelt werden?

Daran zu erinnern heißt nicht, die politische Verantwortung nach Osten zu entsorgen. Erst recht nicht ist es die nachträgliche politische Rechtfertigung einer Grenze, die als »antifaschistischer Schutzwall« gesehen werden wollte, aber bei realsozialistischem Licht Minenmauer nach innen und Zeugnis schließlich verspielten politischen Kredits bei der eigenen Bevölkerung wurde.

Der Lehrsatz »Keine Strafe ohne Gesetz« ist mit dem gestrigen Urteil, für das es in keinem anderen Land auch nur entfernt verwandte Regelungen gibt, mißachtet worden. Die Mahnung des Rechtsphilosophen Ernst Tugendhat (»Sobald man diesen Satz in Frage stellt, wird es völlig willkürlich, wo man die Grenze zieht«) wurde ignoriert. So werden denkt man besonders an Egon Krenz -Märtyrer gemacht. So wird eine Geschichtsschreibung angestoßen, in der es nicht mehr um die wahre DDR, sondern die DDR als Ware geht. Eine Ramschware, verschlissen zwar seit langem, aber offenbar immer noch geeignet, lästige Fragen an den Zustand der heutigen Ordnung wegzudrücken.

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