nd-aktuell.de / 26.08.1997 / Politik / Seite 1

ES3I Kein Grund für andere Gesichter im Kabinett

SPD und Grüne fordern einen politischen Neuanfang

Bonn (ND-Rex). Bundeskanzler Helmut Kohl lehnte am Montag in Bonn eine Umbildung der Regierung ab. Für eine Neuverteilung der Ministerien sehe er keinen Grund, sagte der Kanzler in Interviews für einen Fernsehsender und eine Zeitung. Eine Information für alle Bonner Journalisten gab es bis zum späten Nachmittag nicht. Der Kanzler halte die ganze Diskussion für überflüssig, meinte Regierungssprecher Helmut Hausmann.

Nicht klären ließ sich gestern eine Aussage von Finanzminister Theo Waigel. Der hatte vorige Woche die Personalkrise mit seinen Rücktrittsabsichten ausgelöst. Waigel hatte am Wochenende hinzugefügt, der Kanzler werde ihn bei der Umbildung des Kabinetts nicht enttäuschen.

Gestern gab es ein erneutes Telefongespräch zwischen Kohl und Waigel. Über den Inhalt wurde nichts mitgeteilt. Der Kanzler geht aber davon aus, daß Waigel auf seinem Posten bleibt und erklärte, er sehe erst zum Jahresende Handlungsbedarf. Dann löst sich das bisher von der CSU besetzte Postministerium auf. Zu diesem Zeitpunkt müsse mit der CSU über einen Ausgleich gesprochen werden. Die Besetzung der Ministerien ist laut Koalitionsabkommen Sache der Parteien.

Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine verlangte gestern einen politischen Neuanfang, die Politik von Helmut Kohl sei gescheitert. Der Bundessprecher der Bündnisgrünen, Jürgen Trittin, plädierte für Neuwahlen. Beide Parteien verzich-

teten jedoch darauf, alternative Konzepte zur gegenwärtigen Politik vorzulegen.

Lafontaine forderte die Regierungskoalition zu Gesprächen über eine Steuerreform auf. Zuvor sollte die Regierungsseite aber ein durchgerechnetes Konzept vorlegen. Die SPD sei zu Gesprächen über um zwei Punkte gesenkte Lohnnebenkosten bereit. Das Gesetz zur Rentenkürzung lehne sie ab. Die Regierung Kohl sei verantwortlich für die größte Arbeitslosigkeit, die höchste Staatsverschuldung und für die größte Steuer-und Abgabenbelastung seit dem zweiten Weltkrieg, sagte Lafontaine. Trotzdem vermutet er, daß sich Kohl bis zu den Wahlen im September 1998 »durchwurstelt«. Die SPD könne dem Termin gelassen entgegensehen. Der Zustand seiner Partei sei gut.

Die Bonner Regierungsparteien hätten ihren Vorrat an Gemeinsamkeiten aufgebraucht, erklärte Bundessprecher Trittin für die Grünen. Auf dem sinkenden Schiff werde schon die Parole ausgegeben »Rette sich wer kann«. Die Millionen von Arbeitslosen hätten es jedoch nicht verdient, daß in Bonn 13 Monate nichts passiert. Kommentar Seite 2