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Lehrstellen per Programm?

Horst Kowalak

  • Lesedauer: 3 Min.

? Großunternehmen haben am Wochenende versprochen, in diesem Jahr zusätzlich 100 000 Lehrstellen anzubieten. Glauben Sie an die Verwirklichung?

Unsere Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zeigen, daß die Versprechen zwar gut gemeint, oft aber nicht eingehalten wurden.

? Woran liegt das?

Zum einen hat das etwas mit dem Rückgang der Beschäftigtenzahl in der Bundesrepublik zu tun. Die Betriebe passen sich in ihrer Personalplanung dieser Entwicklung an. Der andere Grund ist, daß sie sich leider überanpassen. Offenbar sitzen in den Personalabteilungen Leute, die den zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften falsch einschätzen.

? Inwiefern?

Bei der Personalplanung werden heute vorwiegend Kostenaspekte berücksichtigt. Der künftige Bedarf an Fachkräften spielt kaum eine Rolle. Experten warnen aber, daß es in den nächsten Jahren einen Fachkräftemangel geben wird.

? Unternehmen beklagen die hohen Ausbildungskosten und machen dafür auch die ihrer Meinung nach unflexible Haltung der Gewerkschaften sowie Ausbildungshemmnisse wie den zweiten Berufschultag verantwortlich. Fühlen Sie sich mitverantwortlich für die Krise?

Das sind überflüssige Ausreden. Die Kernfrage ist doch, wieviele Beschäftigte die Wirtschaft in Zukunft braucht, die gut ausgebildet sind. Wir wissen aus der Praxis, daß weitsichtige Unternehmen ihre Personalplanung unabhängig von der Hö-

he der Ausbildungsvergütung oder der Anzahl der Berufschultage durchführen.

? Wenn Sie politisch entscheiden könnten, welche Schritte würden Sie gegen die Lehrstellenknappheit unternehmen?

Die Wirtschaft insgesamt muß jedes Jahr die entsprechende Anzahl von Ausbildungsplätzen zur Verfügung stellen. Das heißt, die Nachfrage nach Lehrstellen durch die Jugendlichen muß befriedigt werden. Das geht natürlich nur über ein Gesetz zur Umlagefinanzierung.

? Wer nicht ausbildet, soll zahlen?

Richtig. Diese Betriebe sollen zu den Kosten der Ausbildung beitragen, damit den reinen Kostenrechnern endlich die Luft aus den Segeln genommen wird.

? In Frankreich will die neue Regierung mit einem Ausbau der Ausbildung im öffentlichen Sektor der Jugendarbeitslosigkeit zu Leibe rücken. Ein Programm mit Vorbildcharakter für Deutschland?

Wenn man im öffentlichen Sektor Ausbildungsplätze schaffen will, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder der Staat baut seine beruflichen Schulen weiter aus, so daß es möglich ist, auch dort eine Vollzeit-Ausbildung zu absolvieren. Die andere Möglichkeit besteht darin, daß die staatliche Verwaltung und die Behörden in ihren eigenen Reihen mehr Lehrlinge ausbilden. Wir sind sehr dafür, daß alle öffentlichen Einrichtungen mehr ausbilden als bislang. Der größere Teil kann aber vermutlich nur durch einen gezielten Ausbau der beruflichen Vollzeit-Schulen erbracht werden. Hier gibt es ja bereits gerade in den neuen Bundesländern einige Ansätze, beispielsweise eine Kombination zwischen beruflichen Vollzeit-Schulen und Ausbildungsbetrieben.

? Aber damit übernimmt der Staat die Ausbildungskosten für die Wirtschaft, die hernach kostengünstig auf qualifizierte Fachkräfte zurückgreifen kann.

Genau das ist das Problem. Damit wird sogar das Duale System in Deutschland ausgehöhlt. Zudem fehlt den beruflichen Vollzeit-Schulen die Praxisnähe. Ein verstärktes Engagement des Staates darf nur eine vorübergehende Lösung sein. In der Regel muß auch weiterhin in den Betrieben ausgebildet werden.

Interview: Jürgen Amendt

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