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Von Zahnersatz können wir nur träumen

  • Lesedauer: 3 Min.

Beim Zahnarzt war es von jeher etwas anders. Von Anfang an mußte man eine geringe Gebühr für Untersuchung und Behandlung entrichten. 1975, als ich nach London zog, waren es £ 3.50. Bald stieg es auf £ 5, und alle paar Jahre wurde es mehr, bis wir Anfang der 90er £ 17.50 erreichten. Wieviel es heute ist, ist irrelevant, da sich die Mehrzahl der Zahnärzte, unzufrieden mit der NHS-Erstattung für ausgeführte Behandlungen, schon lange nicht mehr mit Kassenkundschaft aufhält. Kassenzahnärzte gibt es schon noch - in London sollen es hunderte sein -, aber die zu finden ist so, wie die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen. Hat man einen ausfindig gemacht, dann hat er schon Tausende von Patien-

ten und kann (oder will) niemanden mehr annehmen.

Sozial Schwachen stehen Optiker und Zahnarzt weiterhin kostenlos zur Verfügung; der Rest - obwohl viele von uns nur wenig über der Sozialhilfegrenze liegen - muß alles aus eigener Tasche begleichen. Ein jährlicher Check-up beim Zahnarzt ist da vielleicht drin; von Zahnersatz dagegen können wir nur träumen.

Besonders brutal waren die Kürzungen in den Krankenhäusern. Zuerst wurden vereinzelt Betten stillgelegt, dann Stationen, Spezialabteilungen reduziert, schließlich ganze Krankenhäuser geschlossen. Weder Proteste von Ärzten, Schwestern, der Bevölkerung, noch von Politikern der betreffenden Wahlkreise fanden Berücksichtigung. Wartelisten für fast alles hat es schon immer gegeben. Als ich 1980 zum HNO-Spezialisten ins Westminster Hospital überwiesen wurde, mußte ich fünf Monate auf meinen Termin warten. Heutzutage beträgt die Wartezeit für Erstuntersuchungen oft das Doppelte, während sie sich für manche chirurgische Eingriffe über Jahre erstreckt. Eine Bekannte aus der Grafschaft Durham ist fast erblindet, bis ihre Augenoperation endlich, nach zwei Jahren, stattfand. Eine ehemalige Kollegin mußte mühsam und unter großen Schmerzen mehr als drei Jahre herumhumpeln, bis sie zwecks Hüftgelenkersatz im Londoner St. George's Hospital an die Reihe kam.

Schlimmer als die Kürzungen beim NHS haben sich natürlich Umkonstruktion und Einschränkungen am Arbeitsplatz auf unser tägliches Leben ausgewirkt. Als Margaret Thatcher Anfang der 80er Jahre begann, die Macht der Gewerkschaften einzudämmen, begrüßten das nicht nur die Unternehmer, sondern auch viele Arbeiter. Damals gab es bei etlichen Firmen die sogenannten closed

shops, wo man gezwungen war, wenn man dort Arbeit annahm, der Gewerkschaft beizutreten - ob man wollte oder nicht.

Nun aber haben die Gewerkschaften fast nichts mehr zu melden, und wir sind, was niemand erwartet hat, im anderen Extrem. Die Arbeitgeber haben die absolute Oberhand und können skrupellos durchgreifen. Und das tun sie auch. Nach Belieben wird hinausgeworfen und eingestellt, Stunden (und Lohn) gestrichen oder (ohne Gegenleistung) erweitert. Zum Arbeitsgericht kann nur gehen, wer zwei Jahre Vollzeit oder fünf Jahre Teilzeit (weniger als 16 Stunden pro Woche) im gleichen Betrieb angestellt war Um Ärger und Unkosten zu vermeiden, ist es praktischer zu entlassen, bevor besagte Frist abgelaufen ist, oder von vornherein nur mit Kurzverträgen einzustellen.

Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde privatisiert: Straßen- und Gebäüdereinigung, Müllabfuhr, Werkskantinen und vieles mehr. Zum freien Wettbewerb ausgeschrieben, erhielten dann die Unternehmen den Zuschlag, die vorgaben, die Arbeit am billigsten zu verrichten. Ehemaligen Angestellten wurde meist geboten, für die neue Firma im alten Job weiterzuarbeiten - für weniger Gehalt und zu schlechteren Bedingungen.

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