nd-aktuell.de / 31.08.1997 / Politik / Seite 8

Was soll das Geheule?

Zu ihrem Wehklagen über mangelnde Berichterstattung / Solidarität aus Moskau, ihren Ausführungen betreffs eigenverantwortliches Handeln des Politbüros, Gegebenheiten des Kalten Krieges etc.:

Wenn man die Geschichte recht verstanden hat, haben Kommunisten schon immer Kommunisten über die Klinge springen lassen. Da kann sich Herr Krenz ja noch freuen, daß ihm sein Faux pas (Auflösung der DDR) nicht härter vergolten worden ist. Stichwort: bei Dschugaschwili wäre das nicht passiert. Also was soll das Geheule?

Veröffentlichen Sie doch bitte in einer Ihrer nächsten Ausgaben den Gestellungsbefehl des Herrn Krenz. Nur so werden Sie glaubhaft machen können, daß er wirklich nichts dafür kann, resp. quasi

genötigt worden ist. Meint: Seinen Parteibeitritt hat er doch wohl freiwillig unterschrieben und bei den verschiedenen Karrieresprüngen hat er doch wohl auch freiwillig mitgemacht.

Meine Meinung zu den »Siegerjustiz«-Urteilen ist: § 104 oder 106 des DDR-Strafrechtes wären angebracht. Von wegen »... zu Schaden der Republik« etc., denn schließlich waren es ja die Fehler der SED, die die Leute auf die Straße und mithin über die Grenze brachten. Und den ganzen Staat ruinieren ist doch wesentlicher als ein versuchter Grenzübertritt. Oder? Wieviel Jahre Bautzen wären das wohl nach DDR-Recht? Ob er sich wohl hätte freikaufen lassen?

Und überhaupt. Siegerjustiz. Ist Siegerjustiz immer schlecht, verwerflich? Mit welchem Recht denn, wenn nicht mit

dem des Siegers, sind Enteignungen vorgenommen worden, haben die jetzt so unsolidarischen Moskauer Genossen SPD-Mitglieder in Sachsenhausen (delikat der Ort, nicht?) ermordet?

Auch finde ich, daß Herr Krenz oder vielleicht auch Sie in Ihrem Blatt in diesem Zusammenhang die Freiheitlichkeit der Meinung dieses (aufgepaßt, nicht unseres oder gar meines) Staates wortreich loben könnten. Ob Herr Fechter, Domaschk oder Gueffroy im ND auch diese Möglichkeiten gehabt haben? Oder etwas zurück Zenzi Mühsam, Heinz Neumann, kurz, die ganze Lux-Belegschaft, die paar Millionen Bauern lassen wir mal beiseite. Die hatten wahrscheinlich das falsche Bewußtsein.

Alexander Nöthen 10999 Berlin