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Der Post Hörner aufgesetzt

Bundestag: Heute wollen die Regierungsparteien den Restposten Briefmonopol verramschen Liberalisierung

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Rene Heilig

Gestern marschierten Gewerkschaftler noch einmal wider das neue Postgesetz auf. Heute wird der Bundestag ihre Wünsche mißachten. Die seit 1994 verfolgte Salamitaktik scheint aufzugehen.

Postminister Wolfgang Bötsch von der CSU macht sich überflüssig. Bevor er seinen Schreibtisch aufräumt, wird er noch einmal Weihnacht-Wohlfahrtsmarken »zur Unterstützung gemeinnütziger Zwecke« herausgeben. Es könnte sein, daß so erzielte Erlöse bald auch Postlern zugute kommen müssen. Mit einem neuen Gesetz werden dem »Unternehmen der Daseinspflege« Hörner aufgesetzt. Bis zur Jahrtausendwende werden ihm 30 000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen, fürchtet Willi Russ, Chef der DPVKOM-Kommunikationsgewerkschaft. Vor allem im Briefdienst wird es kritisch. Dort arbeiten derzeit 193 000 der 289 000 Postler Additionsaufgabe: Je nachdem, ob man sogenannte fremde Dienste wie den DDR-Zeitungsvertrieb hinzurechnet, hat die Post seit Anfang der 90er bereits zwischen 100 000 und 200 000 Mitarbeiter »freigestellt«.

Nach der Privatisierung der Staatsuntemehmen Bahn, Lufthansa, Telekom soll nun die gelbe Post feilgeboten werden. Waigel erwartet »schnelles Geld«. Zunächst nimmt man der Post ihr Monopol. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die Deutsche Post AG lediglich für Sendungen unter 100 g oder 5,50 Mark eine befristet Exklusivlizenz bis 2002 bekommt. Für den Wettbewerb freigegeben wäre die Infopost. Das sind Massensendungen, Werbematerial. Alles, was Geld bringt.

Na prima, so Volkes Hoffnung, die sich aus vorhandener Schlamperei, geschlossenen Schaltern und unfreundlichen Beamten speist: Wettbewerb bringt die lahme Post auf Trab. »Was ist das für ein Wettbewerb?!« Klaus Dieter Krause, Vorsitzender des DPVKOM-Regionalverbandes Ost (er vertritt rund 3800 Mitglieder in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt) ist sauer. »Jeder Briefkunde 500 Kilometer tief im Wald kann auf die Grundversorgungspflicht der Post vertrauen. Wir fahren drei, vier Stunden, und die neuen Konkurrenten machen sich in den lukrativen Ballungsgebieten breit.« Sein Vize, Theodor Jatzkowski, ergänzt: »Dafür müssen wir denen unser teuer aufgemotztes Beförderungsnetz öffnen. Zu von oben diktierten Preisen.«

Derzeit hat die Post - dank Gebührenerhöhung und Rationalisierung - einen Jahresumsatz von 15,5 Milliarden Mark. Experten schätzen, das neue Gesetz reduziert ihn auf 8,7 Milliarden Mark. Es sind »radikale Maßnahmen zur Kostensenkung« angekündigt. Faustregel: Pro Milliarde Umsatzverlust werden 10 000 Leute gefeuert. Mal abgesehen von den sozialen Folgen für die neuen Rekruten im 4,3 Millionen Mann Arbeitslosenheer - dem Staat gehen Unsummen für die Sozialversicherung verloren. Und wer zahlt die jährlich fünf Milliarden Mark Pensionen für Beamte a.D., wenn die traditionelle Post in die Knie geht? Krause weiß es: »Blüm, also der Steuerzahler.«

Die FDP, die CSU-Minister Bötsch zu immer neuen Streichorgien drängte, behauptet, daß ihre Klientel im privaten Zustellbereich Arbeitsplätze schafft. »Die stellen Turnschuhbrigaden auf, ködern Leute für 610 oder 520 Mark Jobs. Ade Tarife, Krankengeld und Rente.« Azubis in Postuniform wird man seltener antreffen, fügt Jatzkowski hinzu. Unlängst bildete die Post noch 50 000 aus.

Dichtgemacht werden Filialen. Ende 1993 gab es noch rund 20 000, jetzt halten 12 000 offen, 5000 will man halten. Hamburg ist Vorreiter. Es gibt dort - zur »Freude« der Alten und Kranken - nur

noch drei Abholzentren. Tante-Emma-Läden sollen bundesweit Erlösung bringen: Puddingpulver, Putenschnitzel und Pakete. Dafür ist jeglicher Vertrauensschutz dahin. Ein Postler aus Bayern konstruiert den Fall: »Xaver aus >Sowieso< bekommt ein Päckchen aus Flensburg. Daß da keine Punkte vom Traktorrennen drin sind, weiß nicht nur der Empfänger. Denn selbst im Dörfchen >Sowieso< hat sich herumgesprochen: Von Flensburg aus befriedigt Beate Uhse selbst ausgefallenste Wünsche.«

So viel erwarten die Postgewerkschafter nicht. Sie vertrauen auf Beamtenstatus im Westen und Tarifverträge im Osten. Krause, Jatzkowski und Russ haben immer wieder mit Postchefs und Politikern gesprochen. Krause: »Gerade in miesen Zeiten sitzen wir alle in einem Boot...« Der künftige Gebieter über den Restposten Post, ein Ministerialdirektor aus dem Postministerium namens Klaus-Dieter Scheurle, kassiert monatlich 17 425 Mark Gehalt. Seine Stellvertreter Arne Börnsen (SPD), bislang Postausschußchef im Bundestag, und Volker Schlegel, bisher Gesandter der Botschaft in den USA, werden 13 363 Mark durchbringen müssen. Solche Summen schockten selbst den Bundesrechnungshof.

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