nd-aktuell.de / 09.10.1997 / Politik / Seite 9

Orte zum Leben, Arbeiten und Träumen

Welt-Habitat-Tag 1997 Die Vereinten Nationen zeichneten in Bonn zukunftsträchtige Städte aus Von Stefan Thimmel

Seit die Generalversammlung der UNO 1985 den ersten Montag im Oktober zum Welt-Habitat-Tag erklärt hat, wird jährlich ein zentraler Festakt in einem Land der Staatengemeinschaft begangen. Zum zweiten Mal nach 1986 fand diese Feier jetzt in Deutschland statt.

Städte der Zukunft«, so das Motto der Feierstunde in Bonn. Nach Prognosen der Vereinten Nationen werden im Jahr 2025 über zwei Drittel der Menschen weltweit in Städten leben. Die Zukunft der Menschheit ist städtisch, doch die Perspektiven für die Städte der Zukunft werden in düsteren Farben gemalt. Heute lebt bereits mehr als ein Drittel der Stadtbevölkerung in Wohnungen, die nicht dem allgemeinen Standard entsprechen; in vielen Megastädten in den Entwicklungsländern leben mehr als 60 Prozent der Menschen in Armut und ohne Zugang zu Trinkwasser und ausreichender Abwasserversorgung. Eine immer schlechter werdende Infrastruktur, Überbevölkerung und zunehmende

Umweltverschmutzung überfordern nicht nur das wirtschaftliche Potential der Städte, sondern gefährden auch sozialen Zusammenhalt und politische Stabilität.

Um diesen Trends etwas entgegenzusetzen, wurde am Welt-Habitat-Tag auch dieses Jahr wieder der Habitat-Preis der Vereinten Nationen für außerordentliche Leistungen auf dem Gebiet der Wohnungsversorgung und der Verbesserung der Lebensbedingungen vergeben. In Anwesenheit von Wally N'Dow, dem Exekutivdirektor der UN-Organisation »Zentrum für menschliche Siedlungen« in Nairobi, und von Bundesbauminister Klaus Töpfer wurden sieben Projekte und Personen aus verschiedenen Ländern ausgezeichnet. Preisträger ist auch eine deutsche Organisation: das »Eltern-Kind-Zentrum« Stuttgart-West. Seit zehn Jahren bietet der selbstorganisierte Treffpunkt Müttern und Kindern Unterstützung für das Leben in der Stadt. Im Nachbarschafts-Cafe gibt es eine Bücherstube, Wäschedienst, Kinderbetreuung, einen Second-hand-Shop und eine Computerwerkstatt. Angebote, die vielen Frauen den Alltag als auch die Bewältigung von Krisenzeiten erleichtern.

Auch Huang Ziqiang, Bürgermeister von Zhongshan, erhielt einen Preis. Die

chinesische Millionenstadt in der Nähe von Hongkong versucht, durch Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen das schnelle ökonomische Wachstum auch sozial und ökologisch abzufedern, sicher nicht die Regel in den boomenden Regionen Asiens.

Einen Preis für den südafrikanischen Obdachlosenverband nahm auf ausdrücklichen Wunsch seiner Partner in Südafrika der Geschäftsführer von Misereor entgegen. Das katholische Hilfswerk aus Deutschland unterstützt seit langem die Pionierarbeit des Verbandes bei der Frauenförderung, bei der Mobilisierung der in Armut lebenden Stadtbevölkerung und der Organisation von Spenden und Krediten zum Bau eigener Häuser.

Zusätzlich zu diesen Preisen der Vereinten Nationen vergab die renommierte Building and Social Housing Foundation aus Großbritannien ihren alljährlichen »World Habitat Award«. Beim Ende 1995 fertiggestellten Europahaus-Projekt Hannover-Langenhagen wurde für 64 sozial benachteiligte Familien aus insgesamt 14 Ländern von einem mittelständischen Wohnungsunternehmen eine Siedlung entwickelt und erstellt, die wegen ihres großen Erfolges Nachahmer in mehreren europäischen Ländern gefunden hat.

Der zweite Preisträger, die im Süden Brasiliens gelegene Millionenstadt Curitiba, ist fast schon ein Klassiker unter den wenigen ökologischen und sozialen Vorzeigestädten weltweit. Die Landeshauptstadt des Staates Paranä hat es trotz eines enormen Wachstums in den letzten Jahrzehnten geschafft, der großen Mehrzahl der in die Stadt strömenden Menschen ausreichenden Wohnraum zu verschaffen. Dies in einem Land, dessen Bild in Europa stark durch die endlosen Elendsviertel aus Holz- und Wellblechhütten geprägt ist.

Gut ein Jahr nach der Habitat-II-Konferenz in Istanbul will aber auch Deutschland seinen eigenen Beitrag dazu leisten, Städte zukunftsfähig zu machen, und versuchen, die in Istanbul verabschiedete ehrgeizige Habitat-Agenda umzusetzen. Mit Dessau und Güstrow, Heidelberg und Münster unterschrieben am diesjährigen Welt-Habitat-Tag jeweils zwei Städte aus den neuen und den alten Bundesländern eine Qualitätsvereinbarung. Darin verpflichten sich diese vier Modellstädte u.a. zu einer sozial verantwortlichen Wohnungsversorgung, zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, zur Reduzierung des Flächenverbrauchs und zur Energieeinsparung im Wohnungsbau.

Im Jahr 2000 sollen auf der in Berlin stattfindenden Weltstädtebaukonferenz »Urban 21« die erreichten Ergebnisse aus den vier »Städten der Zukunft« präsentiert werden. Die Vision des UN-Generalsekretärs von lebenswerten Städten wird sich dann, zu Beginn des neuen Jahrtausends, an der Realität messen müssen.