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Demokraten und Agenten

In Osteuropa ringen Nichtregierungsorganisationen um ihr Image

  • Lennart Lehmann
  • Lesedauer: 4 Min.
In Osteuropa werden Nichtregierungs-Organisationen von der lokalen Wirtschaft und Politik oft im Stich gelassen. Ihre Arbeit wird so zum Teil auch durch die Abhängigkeit von ausländischen Geldtöpfen bestimmt. Für das Image der Initiativen in der Bevölkerung sind das nicht immer gute Voraussetzungen, wie Studien zeigen.
Nichtregierungsorganisationen (NGO), haben einen guten Ruf. Eigentlich. Sie arbeiten nicht profitorientiert, gelten als unabhängig von politischen oder wirtschaftlichen Interessen. Das gilt auf den ersten Blick auch in Osteuropa. Die Initiativen, heißt es beim Centre of Developement of NGOs in Croatia (CDNC), gelten als Ausdruck zivilgesellschaftlicher Beteiligung und als Voraussetzung für die Ausbildung von demokratischen Werten und Institutionen, Menschenrechten und emanzipativen Ideen.
Kein Wunder, dass vor allem autoritäre Regime die NGOs fürchten und ihre Arbeit behindern, wenn nicht sogar mit Härte unterbinden. Immer wieder aber gelingt es Netzwerken solcher Initiativen, Bewegung in erstarrte Verhältnisse zu bringen. Auch bei den jüngsten »Revolutionen« in der Ukraine und Georgien, oft als Befreiungsschlag der dortigen Bevölkerung charakterisiert, sollen NGOs ausschlaggebend gewesen sein. Doch in der Bevölkerung werden die Nichtregierungsorganisationen durchaus auch kritisch gesehen.
In Bosnien-Herzegowina etwa assoziieren laut einer Studie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zwar zwei von drei Befragten NGOs mit etwas Positivem. Und fast ebenso viele meinen, dass sie gern freiwillige Arbeit in einer solchen Initiative leisten würden - wobei die Bereitschaft bei jungen Leuten, Frauen und Studierten höher ist. Bei genauerem Nachfragen ergibt sich aber ein differenziertes Bild.
40 Prozent der Befragten denken bei »NGO« an Organisationen, die sich für Menschen einsetzen, um die sich der Staat nicht kümmert. Nur 12 Prozent glauben, dass zivilgesellschaftliches Engagement eine Möglichkeit für Bürger darstellt, Staatspolitik zu beeinflussen. Fast ein Viertel sind sogar der Meinung, NGOs würden sich nur um eigene Belange kümmern, also für sich selbst existieren. Ein Fünftel vermutet, dass Nichtregierungsorganisationen nur Gelder »abzocken«. Ebenfalls 20 Prozent sehen in ihnen eine bloße Beschäftigungsinstitution für Erwerbslose. Und immerhin noch 15 Prozent wittern in den Initiativen Agenten fremder Mächte. Das Misstrauen ist bei Männern größer als bei Frauen - und es steigt mit dem Bildungsgrad.
In Bosnien-Herzegowina äußerten sich nahezu alle Befragten unzufrieden mit den Regierenden. Die politische Klasse müsse daher durch Menschen mit neuen Ideen ersetzt werden. Zwar sehen 57 Prozent diese »neuen Leute« in Aktivisten der Nichtregierungsorganisationen. Doch wenn es darum geht, Probleme zu lösen, suchen viele lieber Rat bei Verwandten. Nur zwei von Hundert würden sich an eine NGO oder an die Politik wenden.
Am Beispiel Kasachstan zeigt sich, dass das negative Image von Nichtregierungsorganisationen oft äußeren Bedingungen und Strukturen geschuldet ist. Die Machthaber in der ehemaligen Sowjetrepublik lassen kaum politische NGO-Arbeit zu, allerdings bieten sich einige Möglichkeiten für Umweltschutzgruppen. Da aber die staatliche Unterstützung sehr schwach ist, sind diese stark von ausländischen Geldgebern abhängig - und so auch von deren Einfluss. Die nicht selten abstrakt formulierten politischen Ziele der Initiativen gehen auch deshalb oft an den lokalen Traditionen und aktuellen Nöten der Bevölkerung vorbei. Terminplanungen und Geldströme scheitern an Bürokratie. Das Resultat wirkt dann wie Ineffizienz und Korruption.
Der Naturschutzbund Deutschland hat 270 Umwelt-NGOs in Kasachstan registriert. Doch ein großer Teil ist inaktiv. Zwar gebe es eine hohe Motivation unter engagierten Insidern, heißt es in einem Bericht. Aber es fällt den meist kleinen Initiativen schwer, genügend Mitglieder zu gewinnen. Für effektive Öffentlichkeitsarbeit fehlt die Kraft, auch mangelt es an administrativem und juristischem Wissen. Nicht zuletzt gebe es zwischen den Gruppen eine starke Konkurrenz um die knappen Gelder aus dem Ausland.
In Kroatien ermittelte eine CDNC-Umfrage bei 38 Prozent eine negative Einstellung gegenüber Nichtregierungsorganisationen, 44 Prozent äußerten sich positiv. Rund 20000 registrierte Initiativen gibt es, der Hauptteil davon arbeitet in Städten. Die meisten übernehmen eine Anwaltsfunktion, vermitteln soziale Hilfeleistungen, oder setzen sich für die Umwelt ein. Von politischen Organisationen werden die NGOs oft ignoriert, so das CDNC. Größere Spendeneingänge und finanzielle Zustiftungen von Seiten der regionalen Unternehmen oder Politik sind hier ebenfalls eher selten.
Auch in Kroatien sind NGOs deshalb abhängig von Unterstützung aus dem Ausland und arbeiten zum Beispiel mit Parteien und deren Stiftungen aus Westeuropa zusammen. Was, wie anderswo in Osteuropa auch, das gespaltene Image der Initiativen bestimmt: Sie sind entweder gute, aber oft allein gelassene Demokraten oder eben die Agenten fremder Interessen.


Unsichere Zahlen
 Genaue statistische Angaben über Nichtregierungsorganisationen in Osteuropa gibt es nicht. Allein auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens sollen rund 25000 Initiativen aktiv sein, ebenso viele in der Ukraine. Weitere, auch nur ungefähre Zahlen aus den letzten Jahren gibt es für Polen (41000), Tschechien (44000), Rumänien (30000), Litauen (12000) und die Slowakische Republik (13600).
 Einen Überblick über die Entwicklung von NGOs in Osteuropa geben die UNO-Berichte »Nations in Transit« (www.unpan.org)
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