Sweeney pokerte erfolgreich

Sieg der Gemäßigten im Richtungsstreit der Gewerkschaften in den USA

  • William Hiscott
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Lobbyarbeit für die Demokraten oder Organisationsreform und Setzen auf die eigenen Kräfte? Im Linienstreit des US-Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO scheint sich der jetzige Vorsitzende John Sweeney durchgesetzt zu haben, der als Vertreter der ersten Option gilt. Der unterlegene Dienstleistungsgewerkschafter Andrew Stern wiederholt nun seine Spaltungsdrohungen vom Dezember.

In der ersten Märzwoche traf sich der Vorstand des USA-Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in Las Vegas. Es war die letzte Pokerrunde vor einer wichtigen Mitgliederversammlung im Sommer. Dann finden nicht nur Vorstandswahlen statt; auch andere Richtungsentscheidungen stehen an.
Seit Anfang Dezember fordert die Dienstleistungsgewerkschaft SIEU einen radikalen Umbau des Dachverbandes und der Gewerkschaftslandschaft in den USA. SIEU will die Zahlungen der Gewerkschaften an den Dachverband halbieren und und mit dem freien Geld Organisierungskampagnen in ausgesuchten Branchen finanzieren. Außerdem will SIEU-Chef Andrew Stern dutzende kleine Gewerkschaften innerhalb des etwa 60 Organisationen umfassenden Dachverbandes zwangsfusionieren. Ansonsten drohe eine Spaltung.

Dachverband-Gelder werden nicht halbiert
Im Vorfeld der Las-Vegas-Runde hatte sich unter anderem die Transportgewerkschaft »Teamsters« ebenfalls für eine radikale Senkung der Dachverbandsbeiträge ausgesprochen. Auch sie will mehr Geld für die Mitgliederwerbung. Organisiert sind nur noch 12,5 Prozent der Beschäftigten, im privaten Sektor sogar unter acht Prozent. Dem Stern-Teamsters-Lager stehen aber nicht nur die kleinen Gewerkschaften entgegen, die sich weder fusionieren lassen, noch Kompetenzen abtreten wollen. Auch die einflussreiche Beamten- und Öffentlicher-Dienst-Gewerkschaft AFSCME hat andere Prioritäten. Sie will vor einer Organisationsreform und einer betrieblichen Mitgliederoffensive zunächst durch Lobbypolitik gegen die immer erdrückendere Macht der Republikaner vorgehen. AFSCME-Präsident Gerald McEntee sieht eine Umkehrung der politischen Verhältnisse im Land als Voraussetzung für einen Aufschwung bei den Mitgliederzahlen. Daher will er die Dachverbands-Mittel nicht beschneiden.
Der Showdown von Las Vegas scheint nun an den zuvor als angeschlagenen geltenden Sweeney und seine Verbündeten von der AFSCME-Fraktion gegangen zu sein. Gestützt auch von den kleinen Gewerkschaften konnte er einen gemäßigten Reformplan durchsetzen. Dieser sieht zwar eine Reduzierung der Dachverbandsbeiträge um 17 Prozent vor; auch sollen die freiwerdenden Gelder von den Gewerkschaften für Organisierungskampagnen eingesetzt werden.

Stern erneuert Spaltungsdrohung
Andererseits setzte Sweeney aber auch eine Verdoppelung der Kriegskasse des AFL-CIO durch: 90 Millionen Dollar stellt der Verband für Kampagnen und Wahlkampfunterstützung für Demokraten bis zur Kongress- und Präsidentschaftswahl 2008 bereit. Eine Musterkampagne des Dachverbands gegen George Bushs Pläne für die Teilprivatisierung der staatlichen Rentenversicherung läuft schon an. Somit scheint der Vorstoß der SIEU zunächst eingedämmt. Auch kündigte Sweeney seine erneute Kandidatur als Vorsitzender an. Allerdings sammelt auch Stern-Freund John Wilhelm von der Hotel- und Textilgewerkschaft »Unite Here« Unterstützer für eine Gegenkandidatur.
Nach Sweeneys Sieg liegt eine Gesprächsgrundlage für die weitere Debatte bis zum Sommer vor, die im Grunde nur die radikalen Strukturreformen der SEIU ausschließt. Drängende Fragen über die finanzielle, politische und organisatorische Ausrichtung von AFL-CIO und Einzelgewerkschaften bleiben offen. Wirkliche Strategien gegen den Bedeutungsverlust der Gewerkschaften in den USA müssen ebenfalls noch gefunden werden. Ganze Wirtschaftszweige sind inzwischen unorganisiert, in vielen Bundesstaaten sind Gewerkschaften kaum präsent.
Andrew Stern wiederholte nasch seiner vorläufigen Niederlage seine Andeutungen über einen Austritt der SIEU und anderer Gewerkschaften aus dem AFL-CIO. Ob er nur blufft, ist unklar. Noch scheint eine breite Meh...

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