Geheimprojekt Trendwende

Prognose: in drei Jahren weniger als sechs Millionen DGB-Mitglieder

  • Günter Frech
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Vor kurzem gingen einige Sätze aus einer internen DGB-Studie zur Lösung der Mitgliederkrise über die Presseagenturen. Obwohl es als Chefsache gilt, erfahren selbst Hauptamtliche wenig über die Inhalte des Papiers.

Die Schuld liegt immer anderswo: zum Beispiel, das sagen Gewerkschafter gerne, ist der Arbeitsplatzabbau für den Mitgliederschwund verantwortlich. »Das spielt zwar nach wie vor eine Rolle, doch als alleinige Erklärung reicht das nicht aus«, sagt dagegen ein Mitarbeiter aus dem Arbeitsstab um den DGB-Chef Michael Sommer. Deshalb beschäftigte sich eine DGB-Arbeitsgruppe mit einer »Initiative Trendwende« und der Frage: »Wie schaffen wir den Turnaround?«
Geboten scheint eine Kehrtwende tatsächlich. Derzeit zählen die DGB-Gewerkschaften 7,013 Millionen Mitglieder - eine knappe Million weniger als vor der Vereinigung. Der Organisationsgrad sank von 26 auf 17 Prozent. Von 32 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und Beamten sind nur noch 5,5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Vor 15 Jahren waren 11,8 Millionen Menschen organisiert. In den kommenden Jahren rechnet der DGB mit einem Minus von jährlich 4,5 Prozent.
Zum Jahresbeginn erklärte Sommer die Mitgliederfrage denn auch zur Chefsache. Die Krise der Gewerkschaften »ist schärfer als bereits allgemein bekannt«, heißt es nun im Bericht einer vom DGB eingesetzten Kommission, die von Michael Jung, einem Mitarbeiter ausgerechnet der Beraterfirma McKinsey, geleitet wurde.

Warnung vor einem »reinen Sparkonzept«
Doch was denn nun zu tun sei, ist nicht so leicht zu ermitteln. Der Bericht sei »nicht für die Öffentlichkeit bestimmt«, so die DGB-Pressestelle, deshalb gebe es keine Stellungnahme. »Mehr Offenheit wäre hier durchaus angebracht«, wird derweil unter DGB-Beschäftigten gestöhnt. »Nicht alles, was wir tun, müssen wir mit den Mitgliedern kommunizieren«, schallt es aus den Büros zurück.
Der Einfluss des DGB in Politik und Wirtschaft wird weiter abnehmen, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, so der Befund in den Auszügen des Papiers, die ND vorliegen. Die Gewerkschaften seien in einer »Dauerdefensive und verteidigen nur noch die erzielten Erfolge«. Es fehle an »ausreichend attraktiven neuen Kampfzielen und Konzeptionen zur Bewältigung des Strukturwandels«.
Bisher reagierte der DGB auf die Mindereinnahmen durch Mitgliederrückgang mit Rückzug aus der Fläche, Personalabbau und der Auslagerung von Dienstleistungen wie dem Rechtsschutz. »Ein reines Sparkonzept kann die Krise des DGB und seiner Gewerkschaften nicht lösen, sondern führt zu weiteren Mitgliederverlusten«, so die Analyse. Dennoch sind sich die Autoren sicher, dass »ein Turnaround der Mitgliederentwicklung machbar« sei; dazu biete das »geschichtliche Fenster die Chance einer Erneuerung und strategischen Alternative«. Was das nun aber genau bedeutet, darüber gibt es »mehr Vorschläge als Realisierungsmöglichkeiten«.
Unter anderem wird vorgeschlagen, die Aktivitäten in prosperierenden Regionen zu verstärken. Durch bessere Serviceleistungen wie »Karriereplanung, Weiterbildung und Jobvermittlung« sollen »marginalisierte Erwerbstätigengruppen und Studierende« angesprochen werden. Denkbar sei auch eine private Arbeitslosenversicherung nach dänischem Vorbild. »Das bleibt ungefähr, ist nach allen Seiten offen und etwas Neues finde ich nicht«, kommentiert die Sprecherin einer Einzelgewerkschaft.

Viel Kritik - hinter vorgehaltener Hand
Auffällig jedoch ist, dass sich diese wie alle anderen befragten Hauptamtlichen mit Namen nicht zitiert wissen möchte. Anonym dagegen wird gegen die Geheimniskrämerei um den Bericht protestiert. »Wir durften reingucken und dann wurde es wieder eingesammelt«, berichtet der Sprecher eines DGB-Landesbezirks. Dafür kam Post vom verantwortlichen Bundesvorstandsmitglied Dietmar Hexel: das »Turnaround«-Papier sei für den internen Gebrauch erarbeitet worden - »als klare Analyse, damit wir wissen, wo wir stehen«. Sie belege, »dass mehr als gute Gründe bestehen, die Initiative Trendwende mit Zuversicht anzugehen«. Bleibt die Frage, warum di...

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