Keine Gewalt gegen Frauen

Europäisches Parlament fordert Aktionsjahr 2006

  • Almut Schröter, Straßburg
  • Lesedauer: 3 Min.
2006 soll zum Jahr gegen die Gewalt gegen Frauen ausgerufen werden. Das forderte gestern das Europäische Parlament in Straßburg von der EU-Kommission. Jede fünfte Frau in Europa wird heute misshandelt.
Bereits am Dienstag hatten acht Parlamentarierinnen aus Deutschland, Italien, Schweden, Polen und Frankreich im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter in der Parlamentsdebatte ein solches Projekt als Folge der von der IV. Weltfrauenkonferenz verabschiedeten Aktionsplattform (Peking+10) verlangt. Parlamentspräsident Josep Borrell unterstützte ihr Anliegen. Er kritisierte die gewaltsamen Polizeiaktionen gegen demonstrierende Frauen in Istanbul am Wochenende scharf und teilte die Empörung der Abgeordneten über den Mord an einer jungen Türkin in Berlin - den sechsten in Deutschland in den vergangenen vier Monaten. Dass Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftliches und kein privates Problem ist, thematisierten am Frauentag auch zwei Diskussionsforen in Straßburg. Die von der PDS-Politikerin Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vize-Parlamentspräsidentin und Vorsitzende der Arbeitsgruppe zur Geschlechtergleichheit, geleiteten Aussprache galt den »vielen Gesichtern der Gewalt«. Hier widmete Nurit Peled-Elhanan aus Israel ihren Auftritt einer palästinensischen Mutter, die bei einem israelischen Angriff mit ihren fünf Kindern umkam, und bezeichnete Frauen vor allem als Opfer von Staatsgewalt. Jegliche Kopftuchdiskussion nannte sie Unfug. Hirsi Ali, Mitglied des Niederländischen Unterhauses, forderte, das Strafrecht für prügelnde Männer extrem zu verschärfen. Zudem müsse der Staat Mädchen vor Genitalverstümmelungen und Bildungsentzug schützen. Geredet worden sei genug. Statt mit Berichten über Krümmungen von Bananen sollten sich EU-Institutionen mit wirksamen Beschlüssen zum Schutz von Frauen befassen. Wirtschaftliche, durch Traditionen und Religionen bedingte physische und psychische Gewalt an Frauen führte Hélène Flautre, die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, ins Feld. Die Slowakin Anna Záborská, Vorsitzende des Frauenausschusses, leitete den zweiten Themenkreis zu häuslicher Gewalt und betonte, dass Gesetze zum Schutz der Frauen allein Ergebnis engagierter Frauenpolitik seien. Filmregisseurin Nadine Trintignant, deren Tochter ermordet worden ist, plädierte für 30 Jahre Gefängnis für prügelnde Männer. »Alle Frauen sollen wissen, dass Eifersucht das Gegenteil von Liebe ist«, sagte sie. Das nach den Foren vom spanischen Regisseur Santiago Garcia de Léaniz präsentierte preisgekrönte Filmwerk »Alles Liebe?« veranschaulichte ihre Worte auf dramatische Weise. Marie-Cécile Renauld, Mitbegründerin von V-Day, berichtete, wie über das Theaterstück »Vagina-Monologe« Geld für misshandelte Frauen gesammelt wird. Beispiele konkreter Hilfe mit dem Programm »Daphne II« (www.europa.eu.int) nannte Lissy Gröner. Die Grünen-Politikerin musste jedoch einräumen, dass 50 Millionen Euro für 30 Länder und 5 Jahre viel zu wenig seien. Dem Beispiel Österreichs, Gewalttäter aus dem Haus zu weisen, seien Deutschland, Schweden und Slowakei gefolgt. Spanien habe jüngst die progressivsten Gesetze erlassen, lobte die schwedische Abgeordnete Maria Carlshamre. Sie wird 2005 den ersten Initiativbericht des EU-Parlaments zu häuslicher Gewalt geben und offenbarte sich als Misshandelte. Seit ihr Schicksal im Parlament bekannt sei, werde sie von Kolleginnen, die Gleiches durchlebten, angesprochen. Grundsätzlich müsse man die Gleichstellung in allen Gesellschaftsbereichen angehen, sagte Sylvia-Yvonne Kaufmann gegenüber ND. Sie arbeitet als EU-Vizepräsidentin an dem Projekt »Gender-Mainstreaming«. Dabei sollen alle Parlamentsbeschlüsse in den Ausschüssen vorher darauf geprüft werden, ob sie Nachteile für Frauen bringen könnten. »Eine spannende Sache ohne Erfahrungswerte«, so die PDS-Politikerin. »Wir müssen erkunden, welche Hintertürchen sich öffnen.«
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