Der Hass auf alles, was zur Vergangenheit gehörte

Der Roman »Lagum« von Svetlana Velmar-Jankovic aus Belgrad

  • Ursula Rütten
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Über ein Jahrzehnt hat es gedauert, bis sich ein deutscher Verlag fand, der dieses erfolgreichste Werk der »Grande Dame« der zeitgenössischen serbischen Literatur, Svetlana Velmar-Jankovic, endlich ins Deutsche übersetzen ließ. Er vertraute Mirjana und Klaus Wittmann diese große sprachliche Herausforderung an. War man sich womöglich nicht sicher, ob sich ein deutsches Lesepublikum für den hier thematisierten Konfliktstoff interessieren würde? Belgrad im Chaos des Zusammenpralls serbisch-nationaler Bildungsbürger mit kommunistischen Partisanen und der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges? Schließlich erschien die Originalausgabe am Beginn der Milosevic-Ära, in dem das seinem Untergang geweihte Jugoslawien brennendere politisch-moralische Fragen aufwarf. »Lagum«, ein Begriff türkischen Ursprungs, bezeichnet in Serbien unter anderem einen dunklen unterirdischen Gang, solche gibt es viele etwa unter der Belgrader Festung Kalemegdan. Im Roman steht »Lagum« vor allem für die dunklen Seiten des revolutionären Umbruchs in Jugoslawien nach dem Sieg von Titos Partisanen über die deutschen Besatzer und die Klassenfeinde im eigenen Land. So die Perspektive der Ich-Erzählerin Milica Pavlovic, die sich 1984 als Greisin an jene Jahre zwischen 1941 und 1944 erinnert, die ihr einst unbeschwertes, privilegiertes großbürgerliches Leben unwiederbringlich zerstörten: »Die Luft war plötzlich voller Energien des Widerstands und der Drohung, der Angst und der Überlegenheit, die in einem mächtigen, schwarz glänzenden, sprachlosen Knäuel umherwirbelten und glühten. Ich empfing die Botschaften, wagte jedoch nicht, weigerte mich geradezu, sie zu begreifen. Ich war dabei, mich in ein zitterndes, nichtdenkendes, angsterfülltes Wesen zu verwandeln. Nur von einer Seite empfing ich keinerlei Botschaften. Es war die Seite, an der mein Mann stand. Er sandte vermutlich seine Botschaften in eine andere Richtung aus, und mich erreichte von seiner Seite nur eine kalte Leere.« Als Milicas Mann, der bekannte Kunstkritiker Dusan Pavlovic, während des Krieges in Belgrad versucht, möglichst viele Menschen vor den Todeslagern im unabhängigen Kroatien zu retten und deshalb mit der Quislingregierung zusammenarbeitet, lebt sich das Paar immer mehr auseinander. Obendrein deckt Milica das Versteck eines verwundeten Partisanen im Dienstbotenzimmer ihrer Wohnung ohne Wissen von Mann und Kindern. Die Machtübernahme der kommunistischen Widerstandskämpfer besiegelt das Schicksal der Familie: Dusan wird als Kollaborateur hingerichtet, die mit musealen Kostbarkeiten eingerichtete Wohnung von Nachbarn geplündert, die sich eilfertig in eifrige und grausame Handlanger des neuen Regimes verwandelt haben. Milica wird von Menschen, denen sie und ihr Mann Jahre zuvor das Leben gerettet hatten, als Verräterin geschmäht. So auch von jenem Partisanenoberst, der unter ihrem Dach versteckt genesen durfte. »Der Oberst, den ich einst als den Maler Pavle Zec kennengelernt hatte, verströmte eine kalte Gewalt, die nicht nur in ihm selbst, sondern auch um ihn herum alles ausradierte, was nicht unmittelbare Gegenwart war, was auch nur im Geringsten zur Vergangenheit gehörte.« Man muss dieses Gesellschaftsporträt nicht unbedingt als bahnbrechenden Schlüsselroman lesen wollen, wie die Menschen im Herkunftsland seiner Handlung. Subtil zeichnet die Autorin die Bruchlinien und Schwächen menschlicher Charaktere, besonders der jungen Revolutionsprofiteure, nach. Die Zerrissenheit im moralischen Bewusstsein von Milica Pavlovic eingeschlossen. Über die gesellschaftskritische Rahmenhandlung hinaus vermittelt »Lagum« viele hier zu Lande weitgehend unbekannte Einblicke in die serbische Zeitgeschichte: sei es in die vitale Kunstszene im Belgrad der 30er Jahre, sei es in das bis heute nicht bereinigte Spannungsfeld zwischen wertkonservativen Traditionalisten und kosmopolitischen Modernisten oder sei es in die Tatsache, dass politisch verfolgte Serben und Juden im deutsch besetzten Teil Jugoslawiens sogar weniger grausam traktiert wurden als unter der Knute der verbündeten kroatischen und ungarischen Faschisten. Ein geradezu makabrer Befund, ruft man sich den letzten Roman von Velmar-Jankovics Landsmann D...

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