Harmonie der Bewegung. Klassisches Ballett, wie man es liebt. Oliver Matz und Steffi Scherzer mit dem Corps de ballet
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Das ist eine Werbung für das klassische Ballett, ein Genuß für Auge und Ohr.- Tschaikowskis »Schwanensee« in der Berliner Lindenoper. Wer fürchtete, zu einer musealen Ballettfeier gebeten zu werden, wurde auf angenehme Weise eines Besseren belehrt. Wieder einmal zeigte sich, es mangelt nicht an gut ausgebildeten Tänzern, sondern an guten Choreographen, die ihnen angemessene Aufgaben stellen. Patrice Bart kann's'. Der Pariser,Vize^ällettch'e'rerzähft die Geschichte vom in eineiv Schavan verlie'bt'en Prinzen auf der Gründlage der Originalchoreographien von Petipa und Iwanow Er ging behutsam vor, straffte, wo es notwendig war, entschied sich für eine zweiaktige Fassung. Entgegen der Uraufführungsfassung endet das Ballett nicht mit einem Happy-End. Nicht die Liebe siegt über das Böse, sondern die Liebenden gehen daran zugrunde, auch wenn der Prinz den Zauberer erdrosselt. Bart begnügte sich nicht damit, den Solisten und dem Corps de ballet artistischen Entfaltungsraum zu geben. In seiner Version bekommt auch das Verhalten der Protagonisten mehr Glaubwürdigkeit. So wird die Mutter des Prinzen aus der »Stichwortgeberrolle« befreit, sie darf hier wirklich tanzen. Und Bettina Thiel tut's vehement. Da wird glaubwürdig, daß der pubertierende Prinz es schwer hat, sich von erdrückender Mutterliebe, die selbst vor der Intrige nicht zurückschreckt, zu befreien. Oliver Matz, dieser Danseur noble, macht aus der Partie eine Charakterrolle. Zwar sorgte er mit einem Sturz gleich am Beginn des Abends für Herzflattern im Publikum, doch das war wirklich nur ein Ausrutscher. Im Laufe des Abends brillierte er mit seinen Pirouetten und Sprüngen, daß es eine Lust
war. Erfreulich jedoch, er verläßt sich nicht allein auf tänzerische Virtuosität, er hat an psychologisierender Ausdruckskraft gewonnen. Wie er Nähe und Distanz zur Mutter und zu seinem Freund Benno (ausgezeichnet Jens Weber) gestaltet, überzeugt. Benno will Liebe vom Prinzen Siegfried. Doch der ist vom Charme der in einen Schwan verzauberten Odette so gefangen, daß er Benno von sich stößt. Eifersüchtig läßt der sich zur Kabale hinreißen. Das wird mit großem Realitätssinn erzählt.
Steffi Scherzer ist eine wunderbare Odette. Ob solo oder im Pas de deux mit Oliver Mfttz, *sje, ist bezaubernd. Wenn sie ihre Pirouetten und FoUttes dreht, bleibt im Publikum keine Hand still. Aber auch die gerade in dieser Rolle so wichtige Armführung (Port de bras) ist von »sprechender« Ausdruckskraft. Als Odile fehlt ihr vom Typ her zwar das Diabolische, aber das Böse versteckt sich ja auch im Leben oft hinter einer schönen Fassade.
Auch die Rolle des Zauberers Rotbart, in dieser Inszenierung als Premierminister ausgewiesen, ist mit Torsten Händler kompetent besetzt, der spontane Beifall beweist es. Und das Corps de ballet? Es kann seine Klasse im Klassischen schön ausstellen. Schien es in der Vergangenheit, als ginge die einst so gerühmte Homogenität der Truppe verlustig, kann man ihr nun doch bestätigen - auch wenn es noch manches zu tun gibt - daß sie auf dem besten Wege ist. Die Ballett- und Trainingsmeister haben ganze Arbeit geleistet. Selbstverständlich wartet das Publikum besonders gespannt auf die vier kleinen Schwäne - hier getanzt von Jana Timptner, Annamaria Gombos, Kira Kirillova und Jun Liu. Mir fehlte es an Geschlossenheit des Ausdrucks, an der Leichtfüßigkeit der Pas de chat. Das aber macht den Reiz dieses Tanzes aus. In an-
deren Inszenierungen immer eine besondere Farbe in klassischer Umgebung: die folkloristisch inspirierten Tänze der Gäste beim Ball. Damit wußte Patrice Bart offensichtlich nicht viel anzufangen. Der Choreograph verlegte die Handlung in die Zeit Tschaikowskis. Und Ausstatterin Luisa Spinatelli schuf dazu herrliche, vom Jugendstil inspirierte Bühnenbilder und Kostüme.
Wurde so dem Auge geschmeichelt, war das, was ans Ohr drang, gleicher-
maßen angenehm. Meister Barenboim hatte sich vor die Staatskapelle gestellt und lieferte mit ihr eine Taschaikowski-Interpretation ab, die nichts von der oft zu hörenden Salonglätte hatte. Hier ist die Musik nicht Diener der Tänzer. Barenboim betont die der Emotionalität innewohnende Dramatik. Da gehts manchmal mächtig zur Sache. Aber auch das Lyrische kommt nicht zu kurz. Gelegentlich zieht der Dirigent die Tempi jedoch so stark an, daß die Tänzer Schwierig-
keiten bekommen, die komplizierten Schritt- und Sprungkombinationen auszuführen. Insgesamt aber bewährte sich die in Jahrzehnten gewachsene Partnerschaft zwischen Ballettkompanie und Orchester Erst so ist solche Harmonie von Tanz und Musik möglich.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/691697.klasse-klassik.html