»Wer so fragt, braucht mehr als eine Antwort«, meinen nicht nur die Leute von KomBi Abb.. KomBi
Kato ist 16 und findet es ziemlich gut, daß sie jetzt mit den Jungen aus ihrer Klasse im Flur den Mädchen hinterherschauen kann. Sie sagt das augenzwinkernd, und der ganze Saal lacht. Das. Mädchen mit den schwarzen Klamotten, dem zarten Gesicht und den hochgesteckten Haaren aus Prenzlauer Berg in Berlin ist hier, um zu erzählen, wie sie sich an ihrer Schule geoutet hat.
Ein Abend zum Thema »Coming Out -No Problem?! Junge Lesben und Schwule in der Schule« vergangene Woche in Berlin. Der erste seiner Art: Ganz offiziell auf Einladung des Senats, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und verschiedener Projekte und Initiativen, die versuchen, Klischees und Vorurteile gegenüber »Nicht-Heteros« in Berlin abzubauen. So viele sind gekommen, daß die Fensterbänke als Sitze herhalten müssen: Das Thema interessiert, soviel ist klar.
Als Kato mit etwas unsicherer Stimme beginnt, zu erzählen, wie das war, als sie mit 14 »eben merkte, daß ich für Frauen mehr empfinde als für Jungens«, da ist es mucksmäuschenstill. Wie geht es einem mit jener Erfahrung, die von Pädagogen und Eltern so gerne abgetan
wird: »Ach, das ist nur eine Phase, das geht schon vorüber«? Kato wurde ernst genommen, als sie sich in der Schülerzeitung outete. Auch mit ihrer Mutter hatte sie keine Probleme: »Die arbeitet im Aids-Bereich, da war das kein Akt«.
Für Tobias (15), der neben ihr sitzt, ist das Ganze schon ein Akt, und sogar ein sehr trauriger. Er hat einen ziemlichen Haß auf seinen »erzkonservativen und katholischen« Schuldirektor an einer Westberliner Schule. Dessen Namen nennt er immer wieder laut und genußvoll, denn schließlich ist ja auch der Landesschulrat da. Gegen seinen Direktor will Tobias jetzt eine Dienstaufsichtsbeschwerde richten. Er selber hatte in der Schülerversammlung gefragt, ob man nicht einmal so ein Projekt einladen könne, das über Homosexualität informiert. Der Direktor habe das interne Protokoll an die Klassensprecher geleitet, und ruckzuck war es 'rum, daß Tobias schwul ist. Der Direktor habe gemeint, er habe »Angst um die islamischen Schüler«, und das Projekt »Lambda«, das in Schulen über Lesben und Schwule aufklärt, sei eine »fremde Organisation, die versuche, in der Schule Fuß zu fassen«.
Lachen im Saal. Heute abend sind einige von Lambda und dem ähnlichen Projekt KomBi anwesend und berichten über die Vorurteile, die sie in ihren Aufklärungsstunden in Schulen antreffen. To-
bias findet das alles gar nicht witzig: »Ich brauche nur an Schulkameraden vorbeizulaufen, dann heißt es schon, da ist die Schwuchtel. Und einer hat zu mir gesagt: Wenn ich die Lizenz zum Töten hätte, würde ich Euch alle umbringen«. Zwei Briefe hat er an dessen Eltern geschrieben, aber keine Antwort bekommen.
Rein statistisch gesehen gibt es in jeder Klasse ein bis zwei schwule Schüler oder lesbische Schülerinnen. Einer holländischen Studie zufolge haben nahezu 20 Prozent dieser Schüler bereits einen Selbstmordversuch unternommen. Moderatorin Susanne Baier von KomBi hält die Ergebnisse durchaus für übertragbar auf die Bundesrepublik. Bei Tobias wird »Homosexualität« in der Schule ganz kurz unter Genetik in Bio abgehakt. Auch Kato meint: »Das Thema wird totgeschwiegen«. Wenn denn einmal eine Schule Lambda oder KomBi einlädt, sto-ßen die Mitarbeiter auf entsprechend viele Wissensmängel beim Thema Liebe und Sex und auf Vorurteile gegenüber Schwulen und Lesben. Da werden oft Schwule als Tunten gesehen und Lesben als Motorradfahrerinnen mit Lederjacken, erzählt Arturo Mester, der für KomBi durch Berliner Schulen zieht. Mit Rollenspielen versucht er, Schüler erfahren zu lassen, wie schwierig es sein kann, in der Au-ßenseiterrolle zu landen. Wie schwierig, den Eltern die Entdeckung nahezubrin-
gen. »Manche Schüler trauen sich nicht, mich zu fragen, ob ich schwul bin«, erzählt Arturo. Denn »Schwuler« und »Lesbe« sind vor allem als Schimpfwort ein Begriff.
Kato hat eine Idee: Sie will ein Netzwerk in Berlin, in dem sich homosexuelle Schülerinnen regelmäßig treffen und austauschen, damit sie besser mit ihrer Situation klar kommen. Und schwupps geht eine Adressenliste durch den Saal, für alle Interessierten. Eine Zuhörerin schlägt vor, an jeder Schule einen Lehrer oder eine Lehrerin als »Beauftragte/n für Homosexualität« zu ernennen. »Schließlich gibt es ja auch an so gut wie jeder Schule einen Drogenbeauftragten«.
Die Stimmung ist gelöst. So lachen alle ohne Häme, als die sympathische Mutter eines Schwulen vom Schock ihres Lebens erzählt: »Er ist ja so ein großer sportli-
cher Kerl, da wäre man ja nie darauf gekommen«. Inzwischen war Frau Grell mit ihrem Sohn in Schwulenkneipen und hat einen Job beim Schwulenverband ..
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/699295.ich-bin-nur-noch-die-schwuchtel.html