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Juraguä als Lackmus te st

Wiederbelebung der Zusammenarbeit mit Rußland Fertigstellung des Atomkraftwerkes erwogen Von Leo Burghardt, Havanna

  • Lesedauer: 4 Min.

Erdölgewinnung auf Kuba - zuwenig, um den Bedarf zu decken Fotos: Bohemia/Reuters

Admiral Carroll vom Washingtoner Informationszentrum für Verteidigung brachte es auf den Punkt. »Jene, die die Gefahr eines neuen Tschernobyl herbeireden wollen, haben dafür keine technischen, sondern ausschließlich politische Gründe.« Wie auch die Russen aus politischen Erwägungen heraus ihr Einverständnis gegeben hätten, die Fertigstellung von Juraguä nun ernstlich in Erwä-?<giHig«zu» ziehen. Das sei »ein Nadelstich gegen die USA für die Osterweiterung der NATO«!'“ ' ; ' ; “ ?' '''?''-'' ' ?' '“ ?' “'''

Nach der »Wende« ließ Moskau Kuba wie eine heiße Kartoffel fallen; nun sucht man wieder Geschäftsanschluß.

Du wirst gleich nach deiner Ankunft in Moskau eine Horde geschniegelter Herren auf dem Hals haben, die aus ihren Diplomatenköfferchen irgendwelche Verträge hervorkramen, damit du sie unterschreibst. Sag denen, du willst keine neuen abschließen, sondern bei den bereits unterzeichneten ein bißchen Dampf machen.«

Das gab ein kubanischer Rußlandkenner seinem jungen Kollegen mit auf den Weg, der sich zum ersten Male anschickte, im ehemaligen Bruderland zu arbeiten. Denn nachdem die gewendete KPdSU-Nomenklatura 1990/91 - nicht zuletzt auf Drängen der USA - Kuba im Stich gelassen hatte und das Handelsvolumen von 8,75 Milliarden auf 655 Millionen Dollar gekappt worden war, so daß schließlich nur noch das Tauschgeschäft Erdöl gegen Zucker übrigblieb, kamen ab 1995 wieder pragmatischere Überlegungen zum Tragen. Den Russen dämmerte, daß das große Vakuum, das sie in Kuba freiwillig hinterlassen hatten, allmählich von der westlichen Konkurrenz gefüllt wird.

Havanna konnte sich vor schillernden russischen Angeboten kaum noch retten. Es reagierte sehr vorsichtig, aber letztlich aufgeschlossen. Doch viel mehr als der Zucker-Erdöl-Tausch ist bis heute nicht dabei herausgekommen. Der hat jedoch inzwischen einen Umfang erreicht, mit dem'.Rußland..erneut zum, ersten Handelspartner Kubas avancierte. Die inoffiziell geschätzten 200 Millionen Dollarf die“ sich Moskaus Verteidigungsministerium jährlich einen Mietvertrag für die größte außerrussische Abhörstation im kubanischen Lourdes kosten läßt, sind Teil einer Vereinbarung von Armee zu Armee.

Auch aus der Nickel- und Kobaltgewinnung, wo Rußland eine unangetastete Vormachtstellung besaß, hatte sich Moskau sang- und klanglos verabschiedet und der kanadischen Sherritt Platz gemacht. Die bisher bekannten kubanischen Vorkommen werden auf 1,5 Millionen Tonnen reines Mineral geschätzt. Nun hat sich die Moskauer Oneximbank (an der US-amerikanisches Kapital be-

ND-Karte: Wolfgang Wegener

teiligt ist) um die Rechte zur Ausbeutung von sechs kubanischen Nickelminen beworben. Es gäbe tatsächlich viele Kooperationsbereiche, die den Vorteil hätten, daß sich beide Partner recht gut kennen. Die meisten kubanischen Wirtschaftszweige sind immerhin zu 70 bis 80 Prozent sowjetrussisch ausgerüstet. Und seit zwei Jahren tritt auch eine gemischte Kommission Rußland-Kuba wieder regelmäßig zusammen.

Ganz wichtig zum Beispiel das Atomkraftwerk Juraguä bei Cienfuegos, mit dessen Bau 1982 begonnen wurde. Nachdem eine Milliarde Dollar verbaut worden war, stieg Rußland 1991 wegen Finanzierungsschwierigkeiten aus. Das Werk würde nach Fertigstellung des ersten von zwei geplanten Leichtwasserreaktoren 12 bis 15 Prozent des kubanischen Energiebedarfs decken können. Schon heute muß Havanna täglich eine Million Dollar allein für den Erdölimport zur Stromerzeugung bezahlen. Kubas Achillesferse: Es gibt keine Alternativenergien. Es wird zwar Erdöl gefördert, aber viel zu wenig, und es ist zu schw ! er“ f ““' n “' ? ““*“

Kein Wunder, daß man vor allem in “*^nlJSA*“-“w5“l“0TK'efnkraftwerke in Betrieb sind - Sturm gegen Juraguä läuft. Vom Kongreß wurde sogar ein Gesetz angenommen, das allen Staaten bzw Firmen schwere Repressalien androht, falls sie sich am Bau des Objekts beteiligen sollten. Der Teufel Tschernobyl wird an die Wand gemalt. Aber das Schreckgespenst ist längst schon von Experten widerlegt worden, auch von der Internationalen Atomenergiebehörde, mit der Kuba seit 25 Jahren zusammenarbeitet. Dieselben Möglichkeiten wurden dem USamerikanischen Energieministerium und der Kommission für Nuklearkontrolle eingeräumt. Sie haben bisher nicht reagiert.

Doch haben die Russen ihr Einverständnis überhaupt schon gegeben? Der kubanische Außenminister Robaina geriet bei seinem jüngsten Moskau-Besuch mitten hinein in Jelzins Coup gegen die eigene Regierung. Und obgleich er mit seinem Kollegen »in Funktion« Primakow, dem Parlamentspräsidenten und ein paar anderen Leuten sprechen konnte, mußte er sich doch zwischen Tür und Angel bewegen, was hier in Havanna unter der Hand zumindest als eine grobe Unhöflichkeit zur Kenntnis genommen wurde. Robaina verließ Rußland ohne Kommunique.

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