Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

mm Rasanter Kurve nicht abgeneigt

Waggonbauer der DWA melden sich mit Milliarden-Auftrag ICT im Hochgeschwindigkeitsbereich zurück Von Hendrik Lasch, Görlitz

  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 64 Jahren rollte in Görlitz der »Fliegende Hamburger« aufs Gleis. Der jetzt vorgestellte neue Hochgeschwindigkeits-Triebzug heißt schlicht und wenig poetisch ICT.

Mit den von einem Firmenkonsortium unter Federführung der Deutschen Waggonbau AG (DWA) in Görlitz entwickelten ICT-Zügen, für deren ersten Steuerwagen am Freitag festliches Roll-out war, will sich die Bahn rasant in die Kurve legen: Dank italienischer Neigetechnik sind auch auf herkömmlichen Bahntrassen bis zu 230 Stundenkilometer möglich, ohne daß zu starke Fliehkräfte die Fahrgäste vom aufrechten Gang abhalten.

Zunächst 43 ICT-Züge im Wert von etwa einer Milliarde Mark hat die Deutsche Bahn AG bei dem Konsortium ICNT bestellt, dem neben DWA auch Siemens, Fiat Ferroviaria und die Siemens-Tochter Duewag angehören. Erste Absprachen über den Neubau waren bereits Ende 1994 getroffen worden, Ende 1999 sollen alle jetzt bestellten Züge ausgeliefert sein. Außerdem verfügt die DB über eine Option in gleichem Umfang. Während die DWA neben den 86 Steuerwagen noch 52 antriebslose Mittelwagen - erstmals in Aluminium-Rohbautechnik - herstellt,

fertigt Duewag 141 teilweise angetriebene Mittelwagen. Von Siemens stammt die Traktions- und E-Technik, Fiat stellt die in den italienischen Pendolino-Zügen bewährte aktive Neigetechnik zur Verfügung. Eine dieselgetriebene ICT-Variante sowie die dritte ICE-Generation werden ihre Schräglage allerdings der Technologie einer österreichischen Siemens-Tochter zu verdanken haben.

Die in unterschiedlichen Längen lieferbaren, in der siebenteiligen Variante mit maximal 4000 Kilowatt angetriebenen Züge, die zunächst ab Sommer 1999 zwischen Stuttgart und Zürich rollen, sollen »den ICE-Komfort in die Fläche tragen«, wie Karl-Dietrich Reemtsema formulierte. Der DB-Verantwortliche für den Fernverkehr kündigte dank möglicher Kurvenneigungen von bis zu 8 Grad auch für bisher durch Intercity-Züge bediente Strecken abseits der ICE-Hochgeschwindigkeits-Trassen Zeiteinsparungen von etwa 15 Prozent an - in den Kurven soll der ICT gar 30 Prozent schneller fahren können. Auf der Verbindung von Dresden über Frankfurt nach Saarbrücken, wo der ICT Ende 1999 eingesetzt werden soll, könne die Fahrzeit um eine auf fünf Stunden reduziert werden. Auch für die Verbindung von Berlin nach München sind ICTs vorgesehen. Mit den teilbaren, lokomotivlosen Zügen wird auch ein »Flügelbetrieb« möglich, bei dem Module auf stark genutzten Strecken gekoppelt und bei Bedarf wieder getrennt werden.

Auch in Design und Komfort gleichen sich die Züge dem ICE-Standard an. Da nahezu sämtliche technischen Anlagen unter dem Fahrzeugboden installiert sind, können die Fahrgäste absoluten Durchblick von Zugspitze bis Schlußlicht genießen - zwei Lounges an den Zugenden sind lediglich durch Glasscheiben von den Führerständen getrennt. Die elektronischen Fahrgastinformations-Systeme, den uneingeschränkten Handy-Betrieb und die »komfortablen Sitzlandschaften« lobte Reemtsema in höchsten Tönen. Welche Auswirkungen der ICE-Komfort auf den Fahrpreis der IC-Nachfolger hat, war indes nicht zu erfahren.

Für das seit 2. Februar zur kanadischen Bombardier-Gruppe gehörende Görlitzer DWA-Werk bedeutet der Auftrag nach über 30 Jahren den Wiedereinstieg in den Bau von Hochgeschwindigkeits-Triebwagen - nach dem »Fliegenden Hamburger« und den »Karlex«und »Vindobona«-Zügen der 60er Jahre. Während das Werk, dessen Geschäftsleitung für dieses Jahr mit 370 Millionen Mark Umsatz (plus 30 Millionen gegenüber 1997) rechnet, zuletzt überwiegend Doppelstockwagen fertigte, wird deren Anteil an der Gesamtproduktion jetzt auf zwei Drittel zurückgedrängt. Dank des Milliardenauftrages wurde die Mitarbeiterzahl um 150 auf jetzt 1350 aufgestockt, in der gesamten DWA-Gruppe sind etwa 4000 Menschen beschäftigt.

DWA ist einer der letzten großen Arbeitgeber in der knapp 65 000 Einwohner zählenden Stadt, die eine Arbeitslosenquote von derzeit 24,3 Prozent hat. Umso offenere Ohren dürfte die Zusicherung des Bombardier-Vizepräsidenten Peter Stangl gefunden haben: Bombardier - mit einem 97er Jahresumsatz von elf Milliarden Mark der weltweit zweitgrößte Hersteller von Schienenfahrzeugen - werde sich langfristig an der Neiße engagieren. Funktionierende Neigetechnik auch bei eventuellen Kurvenfahrten ist zu wünschen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal