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  • Politik
  • Der »Eulenspiegel« entdeckt uns Dagobert

Geoutet

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 2 Min.

Welch ein Trost in diesen immer mehr von den Schatten der Kriminalität umdüsterten Zeitläufen! Es gibt noch Licht mitten im finstersten Verbrechen! In Vilnius betrauert ein georgischer Mafiaboß in ergreifenden russischen Versen seinen zum Tode verurteilten Mafia-Sohn, und alle Litauer werden zu Tränen gerührt. Und in unserer immer schöner werdenden Hauptstadt sitzt einer ein, dessen künstlerischer Rang jetzt plötzlich hell aufleuchtet gleich dem des verruchten Züricher Sprayers Naegeli. Spät, zu spät entdeckte »Eulenspiegel« ein Talent der hintergründigen Komikzeichnerei in Heft 4/98. Dagobert.

Wie konnten wir vergessen, daß der gerissene Kaufhauserpresser, der sich auf Kosten armer Konzerne ein Leben in Saus und Braus zu erhoffen schien, eine durch und durch künstlerische Existenz ist? Zumal mit zeitkritisch-satirischen Ambitionen? Seine Vergangenheit als erfolgreicher Airbrusher war plötzlich verdrängt vom Spektakel der Verbrecherjagd. Jetzt, da Ruhe eingezogen, fällt es uns wie Schuppen von den Augen. Das immer schon auf gediegene künstlerische Würzkost scharfe Satireblatt »Eulenspiegel« verhilft Dagobert alias Arno Funke zum Outing. Jetzt wird sonnenklar, woher

der enorme Sympathiebonus kam, den der so schlimm in seine Verfehlungen Verstrickte schon immer beim Publikum hatte: Die Leute spürten, hier ist einer von der Gilde der Jankofsky und Henry Büttner Einer dieser still-bescheidenen Witzbolde aus der so emsig mit Bienenfleiß werkelnden Zunft der zeichnend vom Leben Gezeichneten.

Da scheint die Tragik des Daseins in seiner ganzen Breite und Tiefe auf- allein das Publizieren auf satiniertem Papier schafft Lebenserfüllung für solcherart Talent. Die Jagd nach schnödem Mammon war ein Irrweg. Allein in der mönchischen Einsamkeit einer Zelle verwirklicht sich nun das wahre Talent des alten und neuen Dagobert.

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