nd-aktuell.de / 07.04.1998 / Politik / Seite 13

Des Ministers Literaturkanon

Ein Schüler aus dem Auditorium unterstützte die Lehrerin, indem er Kafka als typisches Beispiel dafür nahm, wie eine eingefahrene Pädagogik einen »so mehrdeutigen Dichter in die interpretatorische Eindeutigkeit« und damit in die Unbeliebtheit trieb. Also Kafka, so der Minister, dürfe auf keinen Fall aus dem Literaturkanon verschwinden. Freya Klier und Erich Loest - beide erfahren im Umgang mit jungen Lesern, oft zu Gast in Schulen - sah man immer stärker die Traurigkeit an, gepaart mit der Höflichkeit des Schweigens. Moderne Schule alte Literatur? Das Fragezeichen jedenfalls, so die Diskussion, gehört hinter »Schule«. Geistige Neuansätze sind nötig (nur ja kein neuer Minister!), und dies ist die Crux des Literaturunterrichts: Früher durften sich junge Leute nach der Lektüre von Goethes Werther noch erschießen, heute - oh Tragik! - müssen sie interpretieren.