Roswitha Stolfa
Bildungspolitische Sprecherin der PDS, Vizepräsidenten des Landtags in Sachsen-Anhalt
? Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich entschieden, daß ein DDR-Lehrerdiplom nicht ausreicht, um an einer Schule in Westdeutschland zu unterrichten. Ein Skandalurteil?
Auf jeden Fall, schon allein wegen der Tatsache, daß Lehrer und Lehrerinnen aus anderen EU-Staaten hier berufliche Freizügigkeit genießen und ihre Abschlüsse deutschlandweit anerkannt werden.
? Die Begründung des Gerichts klingt widersprüchlich. Die Lehrerausbildung in der DDR sei zwar »niveaugleich«, könne aber beam-
tenrechtlich nicht anerkannt werden. Wie erklären Sie sich diese Argumentation?
Diese Argumentation ist ein Vorwand, um Lebensleistung und Ausbildung von Lehrern aus der Ex-DDR abzuqualifizieren. Eine bundeseinheitliche Regelung war 1994 vom Bundestag abgelehnt worden. Die Anerkennung der Abschlüsse und die besoldungsrechtliche Einstufung von Lehrern mit DDR-Ausbildung wurde in die Hand der Länder gegeben. Dieser Beschluß ist jederzeit korrigierbar Zumindest wären alle alten Bundesländer in der Pflicht, unsere Abschlüsse anzuerkennen.
? Die Praxis bei der Lehrereinstellung in den alten Ländern ist nicht einheitlich. Hessen beschäftigt Grundschullehrer aus Thüringen, andere Länder haben Hürden gen Osten errichtet. Liegt das nur an parteipolitischen Überlegungen?
Sicherlich nicht. Das hat pragmatische Gründe. Je nach Bedarf ist man bereit, Lehrer aus dem Osten einzustellen oder nicht. Beispielsweise werden 100 Grundschullehrer aus Sachsen-Anhalt bis über das Jahr 2000 hinaus nach Niedersachsen abgeordnet.
? Das Urteil wurde vehement kritisiert. Schießt man
mit dem Protest nicht über das Ziel hinaus? Schließlich wird im Urteil eine zweijährige Lehrtätigkeit im Osten mit der Zweiten Staatsprüfung und damit der bundesweit anerkannten Lehrberechtigung gleichgesetzt.
Der Protest ist keinesfalls übertrieben. Die alten Bundesländer handhaben diese Anerkennung sehr unterschiedlich. In Bayern wird zum Beispiel das Diplom erst nach Fachgesprächen als Erste Staatsprüfung anerkannt, nach zweijährigem Referendariat müssen die Kandidaten die Zweite Staatsprüfung ablegen. Ähnlich verfahren Bremen und
Hamburg. Hier kann bei Nachweis langjähriger Lehrtätigkeit das Referendariat verkürzt werden.
? Juristisch ist die Sache gelaufen. Wie will die PDS politisch reagieren?
Wir appellieren an die Betroffenen, sich gegen diese Diskriminierung zu wehren, auch die GEW und die Lehrerverbände müssen Druck auf die Politik entwickeln, damit sich Bund und Kultusminister bewegen. Darüber hinaus werden wir sicherlich in Sachsen-Anhalt eine entsprechende Initiative starten.
Interview: Jürgen Amendt ND-Foto: Burkhard Lange
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