nd-aktuell.de / 06.05.1998 / Politik / Seite 9

Uraltes Paar

Hans-Dieter Schutt

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr: Er sitzt, ein wenig zusammengekauert, auf dem Sofa - und raucht. Das Lächeln von trotziger Sanftmut. So straft Gerulf Pannach seine Lage. Erst vor kurzem war ihm ein großer Tumor aus der Niere entfernt, das Organ herausgenommen worden.

Wir laufen ums Wilmersdorfer Viertel, Pannach braucht Bewegung. Sehr langsame Bewegung. Roter Schal, schwarzer Mantel, die Haare zum »Pferdeschwanz« gebunden, Baskenmütze drüber; so mag er einst auch durch Leipzig gegangen sein, intellektuell, einzelgängerisch, auffällig, observierenswert. Der Sachse aus der Gegend bei Dresden ist ein kleiner, zäher, zutraulicher, unverblümter Mensch, trotz seiner sarkastischen Anflüge mit unverhohlenem Hang zur Sentimentalität.

Gerulf Pannach, literarisch, schwarzhumorig: Das Schreiben ist ihm eine papierne Bruderschaft. Manche Texte sind wie ein Schrei des kindlich Gebliebenen, aber was sein Schreiben auch sonst noch alles bedeuten mag: Es soll jedes mögliche Ende überdauern. »Yorck 17« heißt die jüngste CD: »Sag mir, warum/ Ich grad unglücklich war/ Mit dem Blick in die Ferne/ Und dir doch so nah/ Komm, dreh dich um/ Unsre Freunde sind da/ Neben uns, Leid und Liebe/ Das uralte Paar.«

Text ist Spannung, sagt Pannach, einzig und allein Spannung. Was ihm vorschwebe, seien unscheinbare Verse, die aber plötzlich irre werden. Die Rede kommt auf seine Leidenschaft: Fremdsprachiges ins Deutsche holen, nicht wortwörtlich, sondern den «Sense«. Schon ein Leben lang will er »Amsterdam« machen, auf deutsch. »Mit Brei quäle ich mich rum, und die Zeit vergeht.«

Pannach, Jahrgang 1948, war in der DDR Liedermacher, er schrieb Texte für »Renft« und andere Bands. Nach der Ausbürgerung von Biermann wurde er mit »Renft«-Organist Christian Kunert inhaftiert und 1977 mit diesem und Jürgen Fuchs abgeschoben. In Westberlin brachte das Duo Pannach & Kunert fünf LPs bzw CDs heraus. Er arbeitete als Schauspieler und Musiker, spielte die Hauptrolle in Ken Loachs Film »Fatherland«.

An Rache übrigens hat Pannach nach dem Ende der DDR nur in erster Wut gedacht. Die ihn in den Knast gesteckt hatten, seien doch beschissen genug dran mit ihrer Unfähigkeit, sich je aus SED-Enge rauszudenken. Obwohl es gut bleibe, wenn bestimmte Leute nicht zur Ruhe kämen. »Aber manche Bürgerrechtler finde ich in ihrer Akribie peinlich. Spott und Spaße treffen besser als der Versuch, Justitia zu bemühen.«

Wir haben eine Runde ums Viertel gedreht. Pannach hat ein unverschämtes jungenhaftes Lachen. Vor allem, wenn er so verflucht lustige Sätze sagt wie diesen: »Jetzt muß ich Kraft sammeln. Lou Reed hat recht: Was nützt Krebs mitten im Frühling?«

Am Sonntag ist Gerulf Pannach an Krebs gestorben.