nd-aktuell.de / 30.04.2005 / Kultur
Der erklärte Witz
Ausstellung in Leipzig: »Unterm Strich - Karikatur und Zensur in der DDR«
Matthias Biskupek
Selbst wenn Vergangenheit nicht schön ist: Schön ist es fast immer, sich zu erinnern. Schöne Bilder in vielen Farben und vielen Grautönen hängen im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Interessierte Besucher wie auch trödelnde Schulklassen können sich dort ein Bild aus vielen Zeichnungen und mancherlei Texten machen: Ach, wie war es doch vordem/Mit Bilderwitzen so unangenehm. Die Gästebucheintragungen sind bislang vor allem euphorisch: »Schön, das mal alles wieder zu sehn« bis sanft kritisch: »Die Kopfhörer sind so historisch wie die ganze Ausstellung.«
»Unterm Strich« heißt die Schau von Karikaturen von 1946 bis Anfang der neunziger - neben DDR- Produkten gibt es ein paar ganz wenige aus Westberlin. Die zeigen, dass die »Zerrbilder«, die vom real existierenden Kapitalismus in den Fünfzigern und Sechzigern auftragsgemäß gemalt wurden, ihre Spiegel-Bilder hatten. Der Kalte Krieg aber scheint im Rückblick eine innere Angelegenheit der DDR gewesen zu sein - manche Deutungstexte der Ausstellungsmacher lesen sich so.
Was man sieht, ist auf jeden Fall beeindruckend: 45 Jahre deutsche Karikaturhalbgeschichte in einem Rundgang. Von den Agitatoren der frühen Jahre Alfred Beier-Red und Kurt Poltiniak über die Eulenspiegel-Größen Bofinger, Henniger, Klamann, Kretzschmar, Muzeniek, Rauwolf, Schrader, die Leipziger Mueller, Forchner, Otto, Schade bis zu Jüngeren, die sich an unserer Gegenwart abarbeiten: Nel, Beck, Radev. Es gibt ein paar Zeichner aus dem einstigen, vor allem kirchlichen Untergrund, heute so unbekannt wie damals. Das Zentrum der Ausstellung aber ist ein echt ausgestatteter Zeitungskiosk aus DDR- Zeiten: Nostalgiker finden dort all das, was früher nicht in der Auslage hing.
Nicht umsonst beginnen Zeitung und Zensur beide mit dem Letzten. Dem letzten Buchstaben des Alphabets. So leuchtet bei Erläuterungen zu DDR-Satire sogleich die Zensur auf. Die war grauenhaft, grässlich und entwürdigend, keine Frage - allerdings wird einer, der heute bei den bunteren und manchmal will mir scheinen: ähnlich einschichtigen Medien der Gegenwart nicht gedruckt oder gesendet wird, auch keine frohen und heiteren Gefühle hegen. Soll er sich trösten, dass dies keine Zensur, sondern Marktbestimmerwille ist?
Kommen wir zu den Erklärungen in der Ausstellung. Natürlich können Jüngere mit dem alten DDR-Kanon nichts anfangen - auch Karikaturen der 48er-Revolution müssen erläutert werden. Und doch sitzen die Erklärer jenem Schema auf, das viele Deutungs-Hoheiten nutzen. Man nehme den reinen Text - zum Beispiel die Bibel oder DDR-Anleitungen für Lehrer - und folgere daraus, wie das Leben einst war. Die Agitations-Leitsätze der Fünfziger waren nach 1980 längst obsolet, hier wird so getan, als seien sie immer und überall wirksam gewesen. Dumme bornierte SED-Diktatur kontra anders denkendes Volk. (Ausstellungstext: »Die SED duldete keine Kritik.«) Wer aber waren die SED-Diktatoren? Die Parteisekretäre? Wie, bitte, kommt dann ein solcher Satz in die Biografie des unvergessenen und wunderbaren Zeichners Heinz Behling? »Der überzeugte Kommunist, Parteisekretär der Redaktion (des »Eulenspiegel«), wagte mit seinen Zeichnungen häufig unverhohlene Kritik.«
Deshalb ist es gut, dass die Ausstellung Zensurobjekte im Bilde vorführt: Wieso, fragt man sich, wurde der »Eulenspiegel« 35/81 mit Bofinger-Titel zu Preiserhöhungen in der DDR (Darmetta, eine Bockwurst mit vier Zipfeln zum erhöhten Gebrauchswert) eingestampft? Viel bissigere Bilder zur Umweltverschmutzung und zum bürokratischen Zentralismus wurden gedruckt und hängen jetzt in der Ausstellung neben Erklärtexten, die so dröge sind wie Schulbuchtexte in der DDR.
Die Schau begleitet ein gut gestalteter Katalog, u.a. mit Texten von Günter Kunert zu »Ulenspiegel« und »Frischer Wind«, Vorgängerblätter des bis heute Karikatur-Zentralorgans »Eulenspiegel«, von Reiner Schwalme zum Dasein eines DDR-Karikaturisten und von Mueller zu Zensurkämpfen in der »Zentralen Sektionsleitung Karikatur/ Pressezeichnung«. Im Vorwort schreibt Stiftungspräsident Hermann Schäfer: »Karikaturen in der DDR - wie in jeder Diktatur - bewegten sich auf dem schmalen Grat zwischen herrschaftsstabilisierender Ventilfunktion und - gewollt oder ungewollt - der Demaskierung regierungsamtlicher Propaganda.«
Man wagt kaum einzuwenden, dass in jeder Staatsform, und sei es die beste Demokratie mit Stiftungspräsidenten an der Spitze, Clowns und Hofnarren just dies tun: ihre Fürsten bekritteln und nebenbei - gewollt oder ungewollt - das Volk, den großen Lümmel, einlullen. Manchmal kostet es diese Unterhaltungs-Künstler den Kopf, manchmal - wie zum Beispiel in früher DDR - die Freiheit und manchmal nur die Lebens-Mittel, wie in der Demokratie des Stiftungspräsidenten.
Zum Thema passend die Geschichte der Titelkarikatur dieser Ausstellung: Ein lachender Sträfling sagt: »Eine gute Pointe muss eben sitzen.« Manfred Bofinger nahm sich in der DDR die Freiheit, dies für ein Programmheft der »Distel« zu zeichnen. Direktor Otto Stark nahm sich die Feigheit, dies nicht zu drucken. Wäre Stark nicht nur stark, sondern auch mutig gewesen, könnte er heute vielleicht als Widerständler in den Forschungsarbeiten der DDR-Erklärer reüssieren. Aber er hätte dann wohl nicht mehr auf seinem Kabarettdirektorstuhl gesessen.
Bis 9. Oktober im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Di-Fr 9-18, Sa/ So 10-18Uhr, Eintritt frei
Begleitbuch zur Ausstellung: Unterm Strich - Karikatur und Zensur in der DDR, Edition Leipzig, 160Seiten, 20 EUR
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/71199.der-erklaerte-witz.html