nd-aktuell.de / 06.05.2005 / Politik

Wer hat wann und wo vor wem kapituliert?

Prof. Fritz Klein zu Ungereimtheiten um den 7. und 8. Mai 1945

Durch Erinnerung und Historiografie geistern unterschiedliche Angaben zu Tag, Stunde, Ort der bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands. Auch die Namen der Beteiligten divergieren. Anlass für ND, Geschichtsprofessor Fritz Klein zu fragen.
ND: Auf welchen Tag haben wir die Gesamtkapitulation zu datieren?
Klein: Eine politisch-militärische Gesamtkapitulation Deutschlands hat es nicht gegeben, nur eine bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht. Das deutsche Oberkommando hat zwei Mal kapituliert: am 7. Mai 1945 am Sitz des von Eisenhower befehligten Oberkommandos der Alliierten Expeditionsstreitkräfte in Reims und am 8. Mai am Sitz des sowjetischen Oberkommandos in Berlin-Karlshorst.
In der DDR war man bemüht, die Unterzeichnung in Karlshorst als die eigentlich maßgebliche Kapitulation hinzustellen. Entweder wurde Reims einfach ausgelassen. Oder man erwähnte Reims, wertete den Vorgang aber unter Verschweigung der sowjetischen Teilnahme als Teilkapitulation vor den Westmächten, der dann die wirkliche Entscheidung in Karlshorst gefolgt sei.

Wie kam es zu Reims?
Die Initiative zur Einleitung von Kapitulationsverhandlungen war von Großadmiral Dönitz ausgegangen. Er wollte die Kampfhandlungen an der Westfront rasch beenden und ordnete zwischen dem 2. und dem 7. Mai Teilkapitulationen deutscher Streitkräfte an verschiedenen Frontabschnitten im Westen an. An der Ostfront sollte der Kampf fortgesetzt werden. Seinen Bemühungen am 5. und 6. Mai beim Chef der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, eine Kapitulation der Wehrmacht nur gegenüber den Westmächten zu erlangen, erteilte jedoch Eisenhower eine klare Absage. Er bestand auf bedingungsloser Kapitulation vor allen Alliierten.

Und dies geschah in Reims?
Die Kapitulation in Reims war rechtswirksam - bestätigt am 7. und 8. Mai durch Erklärungen der amerikanischen und britischen Oberkommandos, vorbehaltlos anerkannt durch den »leitenden Minister« der »geschäftsführenden Reichsregierung« Schwerin von Krosigk und »Reichspräsident« Dönitz sowie auf sowjetischen Flugblättern sogleich bekannt gegeben.

Und wer war in Reims dabei?
Bevollmächtigt von Dönitz, unterzeichnete der Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Generaloberst Jodl, am 7. Mai um 02.41 Uhr. Von alliierter Seite zeichneten der amerikanische General Bedell Smith, Stabschef Eisenhowers, und der sowjetische Vertreter im Kommando Eisenhowers, General Susloparov, gegen. Als Zeuge unterschrieb die Urkunde der französische Generalmajor Sevez.

Wann trat sie in Kraft?
Am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr.

War der Akt am 8. Mai in Berlin-Karlshorst nur Symbolik?
Eigentlich ja. Denn alles, was zur Beendigung des Krieges nötig war, ist in Reims schon passiert und durch die Unterzeichnung einer identischen Urkunde in Karlshorst nur bestätigt worden. In Reims hatte Jodl ein weiteres Schriftstück unterschrieben, in dem er das Einverständnis der deutschen Seite mit einer Ratifizierung der Kapitulation durch den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht und die Chefs der Teilstreitkräfte erklärte.

Wie kam es zu der Festlegung?
Vermutlich hatten sich vor allem die Briten ungut an die Unterzeichnung des Waffenstillstands am Ende des Ersten Weltkrieges erinnert: Im November 1918 hatten ein ziviler Politiker und ein unbekannter General unterschrieben. Hindenburg, der Chef der Obersten Heeresleitung, konnte wenig später seine Mär vom »im Felde unbesiegten Heer« verbreiten. Das sollte sich nicht wiederholen. Ausschlaggebend für den Ort der zweiten Kapitulationserklärung war Stalin, der die herausragende Rolle der Sowjetarmee am Sieg demonstrativ unterstreichen wollte.

Wer war hier anwesend?
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel, der Befehlshaber der Luftflotte Reich, Generaloberst Stumpff, und der Befehlshaber der Marine, Generaladmiral v. Friedeburg. Für die Alliierten zeichneten gegen der Stellvertreter des Obersten Befehlshabers der Sowjetarmee Stalin, Marschall Shukow, und der Stellvertreter Eisenhowers, der britische Luftmarschall Tedder. Als Zeugen unterschrieben der französische General de Lattre de Tassigny und der Kommandierende General der US-Luftstreitkräfte Spaatz.

Wie sind die Ereignisse einzuordnen? Müssen wir einen neuen »Tag der Befreiung« deklarieren?
Nein. Am 8. Mai trat die bedingungslose Kapitulation zu dem in beiden Kapitulationen vorgesehenen Zeitpunkt in Kraft. Für die Öffentlichkeit hat die Zeremonie in Karlshorst größere Wirkung - am Ort, wo Krieg und Verbrechen angestiftet worden waren, und durch Beteiligung höchstrangiger Militärs.

Fragen: Karlen Vesper


Ausführlicheres von Prof. Klein ist in der heute erscheinenden Nummer von »Das Blättchen« zu finden.