nd-aktuell.de / 13.06.1998 / Politik / Seite 24

Otto Hauser - ein Opfer

Wolfgang Hübner

Eigentlich ist es schade, daß nun schon seit Tagen nichts mehr von Regierungssprecher Otto Hauser zu hören ist. Gerade erst hatte er einen so gelungenen Einstand und bekam prompt auch eine so tolle Presse, daß seine plötzliche Zurückhaltung um so schmerzlicher ist. Wie erfrischend war es noch vor einer Woche, als man in Erwartung schlechter Nachrichten das Radio einschaltete oder die Zeitung aufschlug und sofort einer aufmunternden Sentenz von Otto Hauser begegnete!

Nein, wir können und wollen nicht glauben, daß der Frohnatur, die Bonmots wie »Die Menschen in Ostdeutschland sollten aber wissen, daß die Hilfsbereitschaft (im Westen) mit der Wahl von Extremisten nicht überstrapaziert werden darf« locker aus dem Ärmel schüttelte, nichts mehr einfällt. Ein schlimmer Verdacht drängt sich unabweisbar auf: Hat der Bundeskanzler seinem Sprecher einen Maulkorb verpaßt?

Das wäre in der Tat unerhört, denn hinter Otto Hausers arglos-naivem Auftreten verbirgt sich eine Tragödie. Otto Hauser ist kein Täter, er ist Opfer Schon in früher Jugend fühlte er sich magisch von der CDU angezogen und kennt faktisch sein gesamtes Erwachsenenleben lang nur einen Parteivorsitzenden: Helmut Kohl. Statt ihm ein normales bürgerliches Leben zu ermöglichen, nötigte ihn das Kohl-Regime frühzeitig in eine Außenseiter-Existenz. Mit 30 Jahren saß er bereits im Bundestag und kam seitdem nicht mehr heraus - ein Schicksal, das nur diejenigen nachfühlen können, die wissen, wie demütigend es ist, unter Hunderten Hinterbänklern herumlungern zu müssen, und die Hans-Joachim Maatz' Theorie vom Gefühlsstau kennen.

Durch solch widrige Umstände abgeschnitten von jeder Möglichkeit, einer freudbetonten Tätigkeit nachzugehen, mußten dem inzwischen 45jährigen Otto Hauser, als er zum Regierungssprecher berufen wurde, Helmut Kohl wie der liebe Gott, Kanzleramtsminister Friedrich Bohl immerhin noch wie ein Politiker und der Osten Deutschlands wie ein Streichelzoo vorkommen. Ein geraubtes Leben, eine deformierte Seele. Solche Menschen haben größte Nachsicht und Behutsamkeit. Geradezu fahrlässig ist es, sie plötzlich hinauszustoßen in die Selbständigkeit.

Wo pädagogisch begleitete Resozialisierung notwendig gewesen wäre, mußte sich Otto Hauser mit einemmal allein zurecht finden. Daß er - quasi über Nacht mit einem Staatssekretärstitel sowie 30 000 Mark Monatseinkommen am Hals - den Bedeutsamkeitsfimmel kriegen würde, hätte jeder Psychologiestudent diagnostizieren können. Aber nicht einmal jetzt wurde Otto Hauser die notwendige Fürsorge zuteil - nachdem der mit ihm angestellte verabscheuungswürdige Menschenversuch gescheitert war, machten sich seine vermeintlichen Gönner noch über ihn lustig. »Ich bin nicht dafür, daß ein Abgeordneter größeren Blödsinn reden darf als der Regierungssprecher«, kommentierte Wolfgang Schäuble gehässig die Erklärung Otto Hausers, einige der kritisierten Äußerungen habe er nicht als Regierungssprecher, sondern als Abgeordneter von sich gegeben.

Ist das nicht ein Hilfeschrei? Will Otto Hauser uns damit nicht sagen, daß er zurückkehren will auf die Hinterbank, jenen vor der zudringlichen Presse geschützten Raum, wo Menschen, die anders sind, in Würde und ungestört durchdrehen können, ohne sich dafür ständig entschuldigen zu müssen? Ist es nicht höchste Zeit für eine Enquetekommission »Überwindung der Folgen der Helmut-Kohl-Diktatur«?