nd-aktuell.de / 20.06.1998 / Politik / Seite 17

Immer ist etwas los und nichts passiert

Detlef Gwosc

Man sollte bekanntlich Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Und dennoch werden Daily Soaps wie »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« (RTL) seit Jahr und Tag mit hoher Kunst verglichen. »Mit Kunst«, so schrieb eine Kritikerin im Frühsommer 1992 nach Ausstrahlung der ersten Folge von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten«, »hatte der Film sowenig zu tun wie Goethe mit Courths- Mahler«. Diese Feststellung ist zwar richtig, gleichwohl nichtssagend. Soaps sind ein spezifisches Genre, dem man denn auch nur mit einem eigenen Kriterienkatalog beikommen kann. Von daher ist es falsch, wie immer wieder geschehen, »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« (von den Fans kurz GZSZ genannt) als »sentimentalen und klischeehaften Dallas-Verschnitt« abzu-

urteilen. Emmo Lempert, zuständiger Producer von GZSZ, erklärt unumwunden: »Spielfilme sind Kunst, Serien sind das Handwerk, Soaps sind die Industrie.« Die Bedingungen, unter denen Grundy Ufa TV in Potsdam-Babelsberg die Daily Soap produziert, haben tatsächlich vieles mit der Fließbandproduktion etwa in einer Autofabrik gemeinsam. Der Drehplan ist penibel kalkuliert, dementsprechend regiert im Studio die Stoppuhr. Immerhin müssen pro Woche fünf Folgen von jeweils 25 Minuten Länge gedreht werden. Für einen Take von einer Minute und 30 Sekunden stehen nur 20 Minuten Aufnahmezeit zur Verfügung. Mit einer wöchentlich einmal ausgestrahlten Serie wie Dallas oder gar mit einem Spielfilm können Soaps produktionsorganisatorisch mithin nicht verglichen werden. Die Macher der täglichen Seifenoper haben Streß wie dereinst die Bandarbeiter bei Ford. Inhaltlich ist die Trivial-Show »Gute

Zeiten, schlechte Zeiten« ein Stakkato aus Liebe, Haß und Leidenschaft.

Von den insgesamt acht Autoren (sogenannten Storylinern), die immer gleichzeitig an einer Folge arbeiten, ist vor allem Anderthalb-Minuten-Dramaturgie und Gefühlskitsch gefragt. Der Ablauf ist die Message: »Gute Zeiten, schlechte Zeiten, immer ist etwas los - und nichts passiert.« Möglicherweise bewegen sich Soaps damit wirklich, wie die Kritik bemerkte, im »Souterrain desMveausÄ'und.« , sind, gleiphsamjgine Art voixTV4«ÖXel&Q;K man. Doch - so die Verantwortlichen bei Grundy Ufa - man wolle ja bewußt die Zuschauer, von denen 66 Prozent weib-

lich sind, nur unterhalten. Entertainment ist angesagt, nichts weiter »Wir machen Dallas in Entenhausen«, gesteht ein Regisseur, »das niedrigste Niveau auf bestmögliche Weise.« Ungeachtet der Kritiker und deren Vorhaltungen erreichen die TV-Sender gerade mit den Soaps eine große Zuschauerbindung. Im Vergleich zu anderen Programmgenres verfügen

Soaps über das größte Stammpublikum und sind somit auch für die Werbeplaner von großem Interesse. »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« hat durchschnittlich zwischen 5 und 6 Millionen Zuschauer pro Folge (Marktanteil in der Altersgruppe der 14- bis 19jährigen 42 Prozent!).

Die Popularität der mittlerweile zahlreichen Soaps gleichermaßen im privaten wie öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das belegen-neuere Studien, hat mehrere Ursachen. Generell haben die Zuschauer der Soap operas einen emotionalen und personenzentrierten Zugang zu den ihnen auf dem Bildschirm präsentierten Geschichten, was bedeutet, daß sie mit den Figuren mitfühlen, mitleiden. Nicht selten, so eine These, werden emotionale Bindungen mit Serienfiguren aufgebaut, die zumindest teilweise auch Ersatz für defizitäre zwischenmenschliche Beziehungen sein können. Und weil es auch künftig solche Defizite geben wird, steht zumindest GZSZ mit etwas Glück vielleicht ein Schicksal wie dem Käfer von VW bevor. Wahrscheinlich wird man von der Soap auf RTL auch noch in ferner Zukunft sagen: Sie läuft und läuft und läuft... Und dies am 22. Juni bereits zum 1500. Mal.