nd-aktuell.de / 22.06.1998 / Politik / Seite 1

Wechsel der Konzepte

Helfried Liebsch

Wer neue, andere Konzepte heraushören wollte, der mußte genau hinhören am Wochenende in Berlin, als Zehntausende für einen Politikwechsel aufstanden. Wenn auch richtige Stichworte - ökologische und soziale Steuerreform, öffentlicher Beschäftigungssektor, Stärkung der Binnennachfrage, Arbeitszeitverkürzung - fielen, an »konkreter Utopie« (BlochJ mangelte es.

Die neue außerparlamentarische Bewegung wird aber stehen und fallen mit den Antworten auf die Jahrhundertfrage - nach dem Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Mißtrauen gegenüber jeder einfachen Lösung ist angebracht. Klarheit besteht aber darüber, daß es wieder ein erstrangiges Politikziel werden muß, Menschen in Lohn und Brot zu bringen wer weiteren Rückzug der Politik aus Wirtschaft und Gesellschaft das Wort redet, der gehört aufs Altenteil. Und wer jeden Tag gesagt bekommt, Arbeitslosigkeit sei sein persönliches Problem, der braucht Ermutigung. Auf der Genugtuung, sich ungeachtet einer faktischen Medienblockade zu Zehntausenden gefunden zu haben, läßt sich aufiauen.

Nicht nur die Arroganz der »global players«, die Demonstrationen in Italien und Spanien an diesem Wochenende, zuvor in Frankreich, haben noch einmal nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß Arbeitslosigkeit kein nationales Problem ist. Es wird folglich nicht reichen, Arbeitsloseninitiativen, kirchliche Basisgruppen, Unterstützer der Erfurter Erklärung in der Bundesrepublik zu vernetzen - denn der Euro rollt.

An die Köpfe des Aktionsbündnisses geht zuletzt die Frage, ob nicht auch ihr Bündnis-Konzept des Wechsels bedarf. Es wird kaum reichen, Druck auf die Parteien zu machen, sich auf Forderungen an sie zu beschränken. Die Parteien zu sagen, verwischt Unterschiede - gerade programmatische Unterschiede. Klartext. Es wäre sicher nicht von Schaden für die Demonstration gewesen, wenn Unterstützer des Aufrufs - Hildebrandt, Trittin, Gysi oder andere - zu einem Wort an die Demonstranten eingeladen worden wären. Denn so wenig man die Politik den Parteien überlassen kann, so wenig sind die Parteien aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Ein Wort an Parteien fehlte im Demo-Aufruf - Fahnen und Transparente auf dem Alexanderplatz sprachen eine ganz andere Sprache.