nd-aktuell.de / 18.05.2005 / Brandenburg

Universalgelehrter und Philanthrop

Das Heimatmuseum Reinickendorf zeigt das Arbeitszimmer von Wladimir Lindenberg

Matthias Busse
Was für ein Leben! Vom wohlhabenden Moskauer Bourgeoissohn zum Flüchtling der Oktoberrevolution 1917. Vom führenden deutschen Gehirnspezialisten zum Sträfling unter den Nazis. Der Nachlass des 1997 verstorbenen Arztes, Philosophen und Künstlers Wladimir Lindenberg wird nun zum Ausstellungsobjekt. Das Heimatmuseum Reinickendorf empfindet eine Ecke von Lindenbergs voll gestopftem Arbeitszimmers nach, wodurch Besucher einen Eindruck vom Leben eines der letzten Universalgelehrten bekommen. Das Inventar stand bis vor kurzem in seinem Wohnhaus an der Beyschlagstraße 13e in Heiligensee. Dorthin zog er sich 1944 zurück, nachdem er wegen seiner Homosexualität vier Jahre Lagerhaft verbüßen musste. Nach dem Krieg hatte der »Vater der Hirnverletzten« alle Hände voll zu tun. Bis 1959 leitete er die Hirnverletztenabteilung des Evangelischen Waldkrankenhauses in Spandau, danach öffnete er in seinem nur 30 Quadratmeter messenden Heim eine bis ins Ausland berühmte Praxis. »Obwohl die Bushaltestelle "Im Waldwinkel" hieß, rief der Fahrer das Dr.-Lindenberg-Haus aus, damit die Patienten Bescheid wussten«, erinnert sich die Heiligenseerin Liselotte Kapp. Sie war 1997 eine der Gründerinnen der Wladimir-Lindenberg-Gesellschaft, mit deren Mitteln ein Großteil der Ausstellungsstücke von Schimmel befreit wurde. Einiges hatte aber die Feuchtigkeit in dem einfachen Holzhaus bereits unwiederbringlich zerstört. Doch die im Zimmer allgegenwärtigen Fotos der Familie und von Freunden konnten aus Bezirksamtsmitteln konserviert werden. Darunter auch ein Bild des jungen Dalai Lama. Lindenberg bemühte sich um das Verständnis aller Religionen, sah diese als Teil einer notwendigen Spiritualität an. Das Wissen darum, als auch in der Jugend von einer russischen Kräuterfrau erworbene Kenntnisse über Heilpflanzen bestimmten seine neuartigen Behandlungsmethoden. Er verfasste zahlreiche Bücher zur bewussten Lebensgestaltung. Schon seit seinem Medizinstudium in Bonn hatte er sein Zimmer mit selbstgestickten Wandbehängen ausgestaltet. Diese Kunstwerke waren 1987 im Fontane-Haus zu sehen und sind teilweise vom Heimatmuseum übernommen worden. Mit Vorliebe gestaltete er neutestamentliche Szenen, die von Güte und von der Wandlungsfähigkeit des Menschen erzählen. Er selbst war ein Philanthrop, dessen Liebe sich auf alle Geschöpfe ausdehnte. Besonders Katzen hatten es ihm angetan, für die er immer einen Fensterspalt offen ließ. Besuchern habe er, der in den letzten Lebensjahren querschnittsgelähmt war, den Schlüssel durch das Fenster gereicht, sagt Liselotte Kapp. Bis zuletzt sei er geistig rege gewesen. Ihr Mann, Dietrich Kapp, erlebte ein halbes Jahr vor Lindenbergs Tod, wie der Wissenschaftler nacheinander in Polnisch, Französisch und Englisch telefoniert hat. Mo 9-13, Di-Fr, So 9-16 Uhr, feiertags geschlossen. Alt-Hermsdorf 35, Hermsdorf. Tel.: 4044062.