nd-aktuell.de / 15.07.1998 / Politik / Seite 9

Die Stimme des Stars

Walter Kaufmann

Er wollte ... Menschen verwandeln, sie schön machen und dabei den Verwandlungsprozeß beobachten, das war es, was Cohen wollte«, schreibt Ira B. Nadel. - Ehe ich mich ans durchgängige Lesen machte, durchblätterte ich das Buch erwartungsvoll, denn seit meinen Amerikareisen in den 60er und 70er Jahren war mir Leonard Cohens sonderbar eindringliche Stimme im Sinn, beschworen seine Songs die Erfahrungen jener Zeit in mir herauf: »Bird on a Wire«, »Suzanne« und jenes Lied von dem lateinamerikanischen Rebellen, dem eine alte Frau Obdach gibt und deshalb umkommt. Leonard Cohen, 1934 in einer einflußreichen jüdischen Familie in Montreal geboren, ist als Dichter, Schriftsteller, Liedermacher, Sänger ein internationaler Star Die vorliegende erste Biographie gibt Einblicke in ein einzigartiges Künstlerleben. Wie Cohen selbst sein Leben kennzeichnet und was die Menschen, die ihm nahestehen, über ihn sagen, bringt Faszination, bringt Spannung in das Buch.

Cohen zu seinem Verleger nach der Veröffentlichung des frühen Gedichtbandes »The Spice-Box of Earth«: »... einer meiner Onkel lächelte, ein verwirrter Verwandter hatte einen Augenblick der Klarheit, der Ältestenrat in der Synagoge hat sich versammelt...« obwohl eben dieser Ältestenrat Cohens vorangegangenes Buch für »obszön und beleidigend» gehalten hatte.

Über Marianne Ihlen, eine frühe Liebe, der so viele andere folgen sollten, sagt Cohen: »... wir konnten schweigend zusammensitzen, eine Tugend, die unter westlichen Menschen selten ist. Wir sprachen niemals unnötige Worte.« Und sie erwidert. »... wenn man mit Leonard zusammen war, begann man zu verstehen, welche Macht man als Frau hatte.» Und nochmals Cohen: »... ich sollte eigentlich gar nicht in Kanada sein. Der Winter ist nichts für mich. Ich gehöre ans Mittelmeer «

Anderswo dann, im Gedicht »The Genius«, reiht er die Möglichkeiten jüdischer Schicksale auf, die ihm hätten be-

schieden sein können, vom Ghettobewohner bis zum Apostaten, vom Bankier bis zum Schauspieler oder Arzt. Die grausigste Möglichkeit nennt er zuletzt. »Für dich / will ich ein Dachaujude sein / und mich niederlegen im Kalk / mit verrenkten Gliedern / und aufgedunsenem Schmerz/den kein Verstand begreifen kann.«

Anderen Orts (man höre!) wird die Warnung eines Cohen laut, der lange süchtig war- »es (gibt) keine gute Droge für depressive Leute, weil das Runterkommen ... hart ist. «. Im israelischen Sinaifeldzug, beim Anblick verwundeter Soldaten, die aus einem Hubschrauber getragen werden, weint er, und als ihm jemand sagt, die Verwundeten seien Ägypter, ist er über seine Erleichterung tief verstört...

Im Alter von 41 findet er die Liebe, die er ein Leben lang erstrebt hat und das scheint ihm wie der Tod seiner Kreativität: »ich schwimme in deiner Liebe, aber ich ertrinke in Einsamkeit«. An die Stelle der Entsagung aber setzt er die Entschlossenheit, durch Erfüllung der Sinne das zu erlangen, was durch das Opfer nicht erreicht werden kann: »Für die Schönheit bin ich so weit gereist / Ich habe so viel hinter mir gelassen / Meine Geduld und meine Familie / Mein Meisterwerk blieb unvollendet.«

Nach der endgültigen Trennung von Suzanne, der Frau und Mutter seiner Kinder Adam und Lorca, erfaßt Cohen eine seltsame Hochstimmung. Später erklärt er, die Ehe sei »viel schwieriger als die Einsamkeit, eine viel größere Herausforderung für Menschen, die an sich selbst arbeiten wollen. Sie schafft eine Situation, in der es keine Alibis gibt und die die meiste Zeit quälend ist«. - Was Wunder also, daß Cohen im Herbst seines ruhelosen Lebens im buddhistischen Kloster von Mount Baldy, bei der Zen-Lehre, der geistigen Übung zur inneren Versenkung, den Ort zu finden glaubt, »an dem man sitzen und in Ruhe nachdenken kann«. -Various Positions, in der Tat! Ira B. Nadel erhellt sie alle und, weil dem so ist, wird sein Buch zum Erlebnis.