? Friedrich Wolf ist ja nicht nur ein berühmter Schriftsteller gewesen. Er war zugleich auch Arzt, und als solcher hat er sich in seinen Publikationen für eine gesunde Lebensweise eingesetzt. Inwieweit wurde das Leben in der Familie davon geprägt?
Da muß man einige Etappen trennen: In Stuttgart haben wir als Kinder streng vegetarisch gelebt. Vaters Buch von der »Natur als Arzt und Helfer« entstand, indem wir, seine Familie, gewissermaßen Modell standen. Gesundheit durch Licht, Luft und Sonne ist für Koni und mich sozusagen ein Lebensprinzip geblieben. In Wolfs Küche allerdings hat sich mit der Emigration nach Moskau einiges geändert. Freilich, viel Gemüse und Salat wurde auch weiterhin gegessen, und die Mutter legte in Peredelkino bei unserer Datscha einen Gemüse-und Kräutergarten an, den wir Kinder pflegen mußten.
Aber als Vater aus der Internierung in Frankreich zurückkam, gab's auch mal Fleisch. Nach dem Krieg haben die Eltern in ihrem Haus in Lehnitz eine Besucherin mit einem Schnitzel überrascht, die eine strikte Anhängerin der Vegetarier war
? Medizin und Gesundheit, das allein wäre ja schon ein umfängliches Arbeitsgebiet. Hat das schriftstellerische Schaffen schließlich das medizinische Interesse aus Friedrich Wolfs Leben verdrängt?
Nein, hat es nicht. Bis zur Emigration praktizierte er als Arzt und schrieb gleichzeitig seine Stücke. Wenn er dann auch nicht mehr direkt ärztlich tätig war, so hat er doch immer anderen medizinisch geholfen, sein Leben lang.
? Ob »Der arme Konrad«, ob »Cyankali« oder »Professor Mamlock« - was haben die Werke Ihres Vaters für Sie und Ihren Bruder in der Kinder- und Jugendzeit bedeutet?
Vaters Werke haben unser Leben, unser Bewußtsein erheblich beeinflußt. Aus meiner Kindheit in Schwaben ist mir zum
Beispiel eine Laienaufführung des »Armen Konrad« in einem Dorf in deutlicher Erinnerung. Vater hatte auch in Stuttgart bereits einen Laienspieltrupp, für den er schrieb - in diesen heißen Kämpfen gegen die Nazis, das ging bis zu Saalschlachten. Ja, »Matrosen von Cattaro«, »Armer Konrad« und »Mamlock« haben Koni und ich bestimmt zehnmal gesehen - und später schuf Konrad ja auch seinen »Mamlock«-Film. Die »Matrosen von Cattaro« haben mich im übrigen immer wieder darüber nachdenken lassen, daß man revolutionäre Macht nicht durch Vertrauensseligkeit und Uneinigkeit aufs Spiel setzen darf.
? Wie haben die Eltern den weltanschaulichen Weg der Söhne befördert oder begleitet?
Wie in den meisten Familien - die Eltern haben den Weg der Kinder beein-
Darauf kann ich ja nur aus heutiger Sicht antworten: Bis zu seinem Tode waren solche Fragen für den Vater kaum Gesprächsgegenstand. Es wird ihn sicher belastet haben, aber er hoffte wohl, daß diese Zeit vorbei ist. Bevor er in den spanischen Bürgerkrieg ging, war ich 14 und Koni war 11. Damals gab es diese schrecklichen Säuberungen - auch Freunde wurden verhaftet. Mit den Erkenntnissen von heute weiß ich: Vater hat versucht, anständig zu bleiben, nie hat er sich von Verhafteten distanziert. Und Mutter hat unsere Halbschwester, deren Eltern verhaftet waren, zu uns geholt. Sicher haben die Eltern damals auch manches verdrängt, denn der Kampf gegen den Faschismus bestimmte Denken und Handeln, und sie hofften, daß nach dem Sieg alles besser würde. Vater schrieb nach Kriegsende einen scharfen Brief an Stalin, warum er nicht endlich nach Deutschland dürfe - ob es daran läge, daß er Jude sei; Vater durfte dann bald ausreisen. Grundsätzlich gab es keinen Zweifel an der Sowjetunion. So war das damals.
? Zog es Friedrich Wolf nach Spanien, um mehr Freizügigkeit für sich und seine künstlerischen Ideen zu gewinnen?
Er ging in den Kampf gegen die Faschisten, und wir waren sehr stolz darauf. Jahre später erst, als ich an der »Troika« arbeitete, erfuhr ich, daß er damals geäußert hatte: Ich warte doch nicht hier, bis ich verhaftet werde. Er hat es uns nach dem Krieg so nie gesagt - vielleicht, um seine Kinder vor Dingen zu schützen, mit denen er selbst schwer fertig wurde. Vater ist bekanntlich nicht über die spanische Grenze gekommen, war in Frankreich mit Feuchtwanger, Remarque und Masereel zusammen - damals, in Sanary, entstanden einige seiner schönsten Erzählungen. Diese schöpferische Produktivität versuchte er beizubehalten,- als er bei Ausbruch des Krieges ins Internierungslager kam. Unter den schwierigen Bedingungen des Lagers vollendete er das Drama »Beaumarchais«. Seine Schriften wurden auf Zigarettenpapier aus dem Lager geschmuggelt, über die Schweiz nach Moskau, wo meine Mutter sie abschrieb. Den »Lupenschreiber«, der Vaters Texte im Lager ins Miniaturformat brachte, habe ich viele Jahre später kennengelernt!
? Friedrich Wolf hat den Kapitalismus der ersten Jahrhunderthälfte erlebt. Was er damals seinen Söhnen vermittelte wie schätzen Sie es heute ein?
Ich glaube nicht, daß ich an Vaters Kapitalismus-Bild etwas grundsätzlich zu revidieren hätte. Die Funktionsweise des Systems hat sich in vielen Facetten verändert, ist effizienter, aber gleichzeitig auch grausamer geworden. Wenn ich allein an die Kultur- und Medienpolitik denke, wäre es für einen Autor wie Friedrich Wolf mit seiner Überzeugung heute fast undenkbar, derart spektakuläre Erfolge wie in der Weimarer Zeit mit »Cyankali« zu haben. Vor Jahren gab es das Stück noch an westdeutschen Bühnen, doch die Auseinandersetzung mit dem Paragraphen 218 ist ja bis heute nicht zuende.
Friedrich Wolf in Frankreich, 1939
Der Kampf gegen die Auswirkungen der brutalen Macht des Geldes hat nicht an Aktualität verloren.
? Trotzdem ist außer einigen Erzählungen für Kinder derzeit kaum ein Buch von Friedrich Wolf auf dem Markt. Andererseits gibt es seit 1992 eine Friedrich-Wolf-Gesellschaft in Deutschland...
Die Gesellschaft, die ihren Sitz im Wohnhaus der Eltern in Lehnitz hat, bemüht sich um die wissenschaftliche Erforschung des literarischen Erbes wie auch der medizinischen Arbeit Friedrich Wolfs und hat das Haus durch Lesungen und andere Veranstaltungen zu einem kulturellen Zentrum in der Öffentlichkeit werden lassen. Derzeit gibt es einige Unsicherheit, weil ABM-Stellen neu genehmigt werden müssen, doch ich denke, daß diese Dinge bald geklärt werden und daß sich auch die Akademie der Künste, die das Archiv besitzt, in die Arbeit einbringt. Denn zum 110. Geburtstag Friedrich Wolfs am 23. Dezember soll es doch nicht nur in seiner Geburtsstadt Neuwied zahlreiche Veranstaltungen geben, sondern auch in Berlin und Brandenburg.
? Noch eine Frage zu Ihrem Vater: Würden Sie sagen, daß er und seine Mitstreiter zu optimistisch waren, was die Kämpfe und das Ziel aller Mühen betraf?
Von heute aus gesehen, ja. Trotz aller Enttäuschungen und Zweifel war Vater immer von grenzenlosem Optimismus erfüllt. Ich denke, er würde auch heute an dieser optimistischen Weltsicht festhalten. Seine bedeutendsten Dramen handeln ja von Niederlagen in der Geschichte: Der »Arme Konrad« von der Niederlage der Bauern im Bauernkrieg - da verabschiedeten sich die geschlagenen Bauern mit dem Lied, das in die Worte mündet »die Enkel fechten's besser aus!« In »Die Matrosen von Cattaro« ruft der Maat, Franz Rasch, als die rote Fahne heruntergeholt wird: »Das nächste Mal besser, Kameraden!«
? Wie stehen Sie heute zu den Vorstellungen, den Träumen Ihres Vaters Friedrich Wolf?
Wissen Sie, diese Frage wird mir oft gestellt: Man will wissen, wann ich denn mit dem Kommunismus gebrochen habe. Ich sage dann: Ich habe nicht. Und ich bekräftige es auch in diesem Interview-Ich habe niemals mit den Träumen und der Menschheitsidee meines Vaters, meiner Mutter oder des Bruders gebrochen. In ihrem Sinne glaube ich an die Zukunft der Menschheit.
Fragen: Hans Jacobus
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/722029.auch-heute-wuerde-er-optimistisch-sein.html