nd-aktuell.de / 29.07.1998 / Politik / Seite 10

Gute Musik und ein unverzeihlicher Abgang

Eva Neumann

Ick hab mir heut nachmittag noch mal >Healing Game< angehört«. Der Mittvierziger blickt seinen Freund bedeutungsvoll an und führt drei Finger zum Kusse an den Mund: »Mmmha«. Der andere nickt nur schwärmerisch, als er den Namen des 97er Albums von Van Morrison hört. Die beiden Kumpels mit Stoffbeutel und Tütenwein sind mit grauhaarigen Pärchen, Freaks, Yuppies und Teenies hier in der Parkbühne Wuhlheide in Berlin, weil sie ihren Held sehen wollen, »Van the Man«.

Van Morrison, der 52jährige Ex-Hippie, der schroffe Ire mit den zarten, mystischen Texten, dessen Launen gefürchtet sind, der Sänger und Saxophonspieler, der seine Heimat fand in R & B, Folk, Soul, Swing, Rock'n'Roll und Funk, der Mann, den John Lee Hooker persönlich zum »besten weißen Bluessänger« ernannte.

So bleiben die beiden Kumpel am vergangenen Sonntag direkt vor der Bühne denn auch erst einmal sitzen, als die blonde Holländerin Candy Dulfer inmitten sieben junger Musiker ihr Saxophon ansetzt und beginnt, das Publikum auf den »Belfast Cowboy« einzustimmen: Sommerlich swingender Funk vom Feinsten in der goldenen Abendsonne. »Die hat wenigstens Spaß, an dem, was sie macht«, tönt es aus dem Publikum.

Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Eben noch die schwungvolle, lächelnde Candy, jetzt der dickliche Mann, der auf die Bühne tritt, ohne Gruß das Mikrophon gebieterisch an sich reißt und ohne Umschweife seine Stimme in den Abendhimmel schickt. Hut, Sonnenbrille, zugeknöpfter Anzug - der Mann will sich nicht preisgeben, er gibt dem Publikum nichts - seine Stimme gibt alles. Die Stimme, die der Traurigkeit seit fast 40 Jahren das Trotzdem abringt.

Ganz seinem Ruf entsprechend, fängt Morrison gleich an, böse Blicke zu werfen, dann zu fluchen und mit dem Mikro auf den Boden zu stampfen, bis der Techniker den Befehl erkennt und es eilfertig austauscht. Van singt und schreit, heult und haucht. Seinen alten Rock'n'Roll Hit »Jackie Wilson« und den Klassiker über die Jugend im protestantischen Nordbelfast »Cleaning Windows«. Er taucht hinein in »In the Afternoon« von dem 95 er Album »Days like this«: Liebe am Nachmittag im Zimmer, in dem das Licht langsam schwindet. Abgeklärtheit und ungeduldiges Drängen zugleich in diesem Lied, das er in jenem Jahr schrieb, in dem er Michelle Rocca, eine einstige »Miss Ireland«, ehelichte.

Als er den alten Hit »Moondance« in leichtes Swingen gebracht hat, holt er Candy Dulfer auf die Bühne, feuert sie zu Saxophon-Höhenflügen an, läßt sie über die gemeinsame Musik glücklich strahlen und zündet sich erst einmal eine Zigarette an. Das Publikum tobt. Und als er sich dann in eine Cover-Version des Dylan-Stücks »Just Like a Woman« vertieft, sind die beiden Kumpels vor der Bühne endgültig wunschlos glücklich.

Morrison meidet ruhige Balladen und Jazz, verwandelt auch langsame Stücke in treibenden Funk, läßt Rhythmen ineinander übergehen. Die Lieder folgen Schlag auf Schlag, die exzellenten Musiker reagieren bereitwillig auf jede kleinste Geste des Meisters. Als der nach einer halben Stunde zum ersten Mal lächelt, jubeln die Zuschauer, als sei die Sonne zurückgekommen.

In Interviews sagt Morrison, er sei auf der Bühne zu konzentriert, um mit dem Publikum zu kommunizieren. Er hasse seinen Ruhm und könne nicht damit umgehen. Beides sei ihm geglaubt und verziehen. Nicht verziehen sei ihm, daß er nach knapp anderthalb Stunden, gerade als die Dinge in Schwung gekommen sind, ohne Gruß und ohne eine einzige Zugabe sang- und klanglos verschwindet.