nd-aktuell.de / 04.08.1998 / Politik / Seite 5

Die Zeit im Bild

Jetzt im Wahlkampf wird mitunter schmerzhaft deutlich, wie wenig konsequent die von manchen beklagte Visualisierung der Politik in Wirklichkeit vorangetrieben wurde. Elende Worte, um nicht zu sagen zähe Ausführungen drängen sich wieder und wieder zwischen die laufenden oder stehenden, aber doch halbwegs ordentlich angerichteten Bilder Und wecken die

Sehnsucht nach der Rückkehr zum Stummfilm. Worte zerstören, wo sie nicht hingehören. Dies um so mehr, als die ins Bild gesetzten sogenannten Wahlkampflokomotiven der jeweiligen Parteien augenscheinlich dem Irrtum unterliegen, der ganze Zirkus gelte ihrem bedeutungsschweren Griff zum Manuskript, sofern überhaupt ein aktuelles vorhanden ist und es sich nicht um welche vom Vortage oder vom letzten Wahlkampfhandelt. Dabei haben die Sender schlicht nichts anderes mehr anzubieten. Das Land streckt sich flach unterhalb jedes geistigen Horizontes, unverzichtbare Grundhaltung für erfolgreiches Parteienscharmützel.

Kohl jüngst an der Nordsee, an der Ostsee und in der Ziltendorfer Niederung, einigermaßen trockenen Fußes im Sonnenschein, ein Pfund Schminke im Gesicht und mit weiter Geste eben dieses Flachland umgreifend: Es wäre zumindest auszuhalten gewesen. Aber dann kommt er zum für ihn Eigentlichen: Er sagt etwas. In Heringsdorf hat er es außer mit dem Eigenlob auch wieder mit der PDS. Sie säe Zwietracht. Deutschland brauche aber die Einheit. In der Ziltendorfer Niederung, wo der Historiker Kohl mannhaft seine Abneigung gegen den Namen Ernst-Thälmann-Siedlung unterdrückt, schwemmt er verbal die Erkenntnis an, beim Hochwasser

sei das Bewußtsein deutlich geworden, daß die Deutschen zusammengehören. Der selbstlose Einsatz damals war für ihn »gelebter Patriotismus«. In Büsum am plattdeutschen Strand ließ er wissen, daß Schröder niemals Kanzler werden dürfe, und auch andere Schattenkabinettsmenschen besonders ungeeignete Kandidaten sind.

Nach solchen Darbietungen sollten die Wählerinnen und Wähler erstmal alle Bilderfahren lassen und zur Sortierung schreiten. Hätte Kohls gelebter Patriotismus in den Oderfluten auch die Rettung von Bürgern aus Polen eingeschlossen? Da sagt der geprüfte Ostmensch glatt Ja, denn einst wurde er an dem Konstrukt »sozialistische Patrioten und proletarische Internationalisten« geschult, bei dem immerhin alle eingeschlossen waren, auch Polen. Möglich ist aber ebenso, daß Kohl bei seiner Patriotismus-Bemerkung Deutschland in den Grenzen von 1937 vor Augen hatte, was erstens lange der Fall war und zweitens auch jenseits der Oder-Neiße-Grenze höchsten Einsatz legitimieren würde, ohne gleich den patriotischen Anspruch zu verwirken. Für künftige Wahlkämpfe wäre es dennoch gut, in der Nähe von Grenzgewässern vaterländischen Begriffen zu entraten. Und dann die Saat der Zwietracht. Mal abgesehen davon, daß Kohl, falls er auch bei Abwesenheit von Hochwassern

an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen glaubt, die paar Zwietrachtsäer links hätte liegen lassen können: Wie sät man Eintracht? Noch nie sah man jemanden bei solcher Tätigkeit, aber immer wieder einen Kanzler, der die ihm in höchster Bedrängnis mehr oder weniger zugefallene Einheit als persönliche Auspflanzung erklärt, um deren Früchtchen er sich nicht bringen lassen will. Dies ist zwar gewaltiger Betrug, aber es ist ein Bild: Die Einheit bin ich, der Kanzler bin ich, der einzig geeignete Kandidat bin ich ebenfalls. Wer jetzt nicht für mich ist, ist gegen mich. Man kennt das von irgendwoher Gegen solches Panorama die Wirklichkeit zu benennen, heißt sie verfehlen, denn die Wirklichkeit soll Kohl sein. Elefantöse Bildfindungen von Hintze, Tiedje und Hauser für ihren Chef arbeiten an der Unverrückbarkeit dieses Eindrucks, also der Vermeidung von Gegenlicht.

Gewicht statt Gehalt, Standbild statt Bewegung. Ein graues altes Tier, das seinen Ruf und vermeintlichen Ruhm recycelt, weil neuer außer Reichweite ist. Und dazu nicht nur die alten vernutzten Worte, sondern das geradezu flehentliche Herbeizitieren der einstigen geliebten Feindbilder, die das Leben so schön übersichtlich machten. - Ein Bild des Jammers.