nd-aktuell.de / 04.08.1998 / Politik / Seite 8

\jE3sm Alte Ochsen mit brisanter Füllung

Wurde krebsfördernde Wurst nach Italien exportiert? Von Hannes Hofbauer, Wien

Lebensmittelprüfer schlugen Alarm: 80 Tonnen österreichisches Rindfleisch mit einem krebsfördernden Wachstumshormon sind in norditalienischen Verarbeitungsbetrieben aufgetaucht. Die Wiener Gesundheitsministerin Barbara Prammer warnt vor dem Verzehr von Wurst.

In der unendlichen Geschichte industrieller Massentierhaltung wird ein neues Kapitel geschrieben. Das nun beanstandete Fleisch von Proben, die vergangene Woche in Italien bezogen wurden, stammt aus dem Jahr 1996. Damals hatte die »Agrarmarkt Austria« im Gefolge des BSE-Skandals Stützungskäufe von österreichischem Rindfleisch unternommen, um die Preise vor dem Fall ins Bodenlose zu bewahren. Zwei Jahre lagen die nun kontrollierten 80 Tonnen Rindfleisch in Kühlhäusern herum, bis sich ein italienischer Wurstwarenfabrikant der alten Ochsen annahm und sie in Kunstdärme spritzte. Als Würste sollten die Rinder zurück auf den österreichischen Markt. Noch vor der ersten Auslieferung, so versichern die Gesundheitsbehörden, traten italienische Lebensmittelprüfer auf den Plan. Was sie feststellten, ist - wenn es stimmt - ein Skandal allererster Ordnung. In dem verwursteten Rindfleisch befindet sich eine gehörige Portion »Stilbene« - ein Wachstumshormon, das den Aufbau von Muskelmasse beschleunigt. Die Verwendung von »Stilbene« ist seit 15 Jahren verboten, da seine Grundsubstanz nachweislich das Krebsrisiko erhöht.

Laut Auskunft der italienischen Behörden kam das Fleisch aus mehreren

Schlachtbetrieben in Nieder- und Oberösterreich, der Steiermark und Kärnten. Von einem einzigen »schwarzen Schaf« unter Österreichs Bauern könnte damit kaum die Rede sein, eher schon von einer ganzen »schwarzen Herde«. Die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet.

Noch gilt der »Stilbene«-Befund in Österreich allerdings als inoffiziell. Holländische Tester sollen in den nächsten Tagen eine Gegenprobe nehmen. Inzwischen sind auch Zweifel laut geworden, ob es sich bei den Fleischproben tatsächlich um Rind aus Österreich handelt. Daß hinter dem gesundheitlichen Argument der Italiener auch handfeste ökonomische Interessen stecken könnten, wagt hier in Wien allerdings noch niemand öffentlich auszusprechen. Indes ist bekannt, daß medizinische Befunde immer wieder als verdeckte zollpolitische Maßnahmen zum Einsatz kommen. Noch nicht lange ist es her, als ebenfalls italienische Veterinärmediziner gesundheitsgefährdende Substanzen in ungarischer Salami entdeckten. Mühsam aufgebaute Handelskontakte zwischen ungarischen Lebensmittelbetrieben und der Europäischen Union brachen damals zusammen. Und die angebliche Schweinepest in Tschechien verbietet dem kleinen Land bereits seit über einem Jahr die Ausfuhr von Schweinefleisch und Wurstwaren.

Italienischen Behörden vorwerfen zu wollen, sie würden Dokumente fälschen, wäre aber unredlich, solange es keine Evidenz dafür gibt. In Erwägung zu ziehen ist jedoch diese Möglichkeit, zumal man sich nur schwer vorstellen kann, daß in Österreich in vier (von neun) Bundesländern hormonverseuchtes Rindfleisch jeglicher Kontrolle entschlüpft sein könnte. Dies wäre der größte Kriminalfall in der österreichischen Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.