nd-aktuell.de / 04.08.1998 / Politik / Seite 11

Klangteppich mit filigranen Mustern und exotischen Farben

Von Uschi Lenk

Kaum zu glauben, es ist Halbzeit in der '98er Kulturarena in Jena. Sollte »Das Narrenschiff« tatsächlich schon vor drei Wochen in See gestochen und den theatralischen Einstand dieser achten Auflage des Open-air-Festivals gegeben haben? Und ist es schon so lange her, daß sich hier Solisten und Bands von vier Kontinenten quasi Klinke und Mikrofon in die Hand gaben?

Es ist, und zwar europaweit einzigartig! Denn kein anderes Festival auf dem Kontinent bietet mit 52 Events an 43 Tagen eine vergleichbar geballte Ladung Kultur wie das Jenaer Das honoriert na-

türlich auch das Publikum. Knapp 25 000 Zuschauer bis zur Halbzeit am vergangenen Sonnabend bedeuten neuerlichen Rekord zu diesem Zeitpunkt - und das trotz teilweise widriger Umstände. Mit den »Temptations« und »AI di Meola's World Sinfonia« beispielsweise fielen zwei der Topacts wegen Krankheit aus. Zwar gab's Ersatz, doch stand es den Besuchern frei, ihre Karten zurückzugeben. Dazu trieb der Wettergott seine launischen Spielchen. Und es ist sicher auch der besonderen Atmosphäre dieses Festivals zu danken, daß Stars wie Herbie Hancock trotz strömenden Regens und leicht verstimmten Klaviers alles geben.

Mehr Glück mit dem Wetter hatten da die »Tambours de Brazza« am vorigen Donnerstag. Sie lockten nicht nur rund

2500 Besucher an - das derzeit aufregendste Percussions-Orchester Afrikas bot auch Trommelmusik pur und total. Die zehn Musiker, Tänzer und Sänger um Kongos populärsten Drummer Emile Biayneda entführten die Zuhörer gemeinsam mit der in Jena bestens bekannten Zap-Mama-Musikerin Manou Gesson als einziger Frau mitten ins Herz Zentralafrikas. Und das in einer Art, die schon beim bloßen Zuschauen den Schweiß aus allen Poren trieb. Ob einzeln oder in verschiedenen Formationen zauberten sie mit ihrer Musik und ihren Tänzen mal fröhlich, dann wieder traurig, heißblütig und kraftvoll und immer ein wenig geheimnisumwittert das Leben dieses Kontinents auf die Bühne. Sie heizten die Stimmung derart an, daß auch

nach dem gut zweistündigen Konzert noch lange keine Ruhe in die Arena einzog.

Ähnliche Reaktionen gab's bei Habib Koite & Bamada. Die fünf Musiker aus Mali bestritten am Wochenende den Halbzeit-Part. Und sie taten das virtuos und ekstatisch und immer im Zwiegespräch mit dem - zumindest im ersten Teil unter Regenschirmen geducktem, dennoch mitgehenden - Publikum. Da mischen sich in die afrikanischen Rhythmen, mit denen Koite, der einer der ältesten Griots-Familien Westafrikas entstammt, vom Leben in seiner Heimat erzählt, nicht nur Rap-Elemente, sondern eindeutig auch moderner HipHop, der sich letztlich jedoch wieder als malischer Djondon-Rhythmus erweist. Den Klangteppich mit seiner Mischung aus Alt und Neu weben Habib Koite & Bamada mit traditionellen Instrumenten, etwa dem Balafon, dem afrikanischen Pendant zum Xylophon, oder der Tama, einer zwischen Oberarm und Brustkorb gehaltenen »talking drum«, deren wortartigen Klangfolgen kaum ein Europäer zu folgen vermag. Dazu gesellen sich Schlagzeug und Baß-

sowie eine E-Gitarre, die Koite so spielt, daß man meint, eine Kora zu hören.

Zwischen diesen beiden afrikanischen Gastspielen brachten die »Fanfare de Ciocarlia« aus Rumänien eine völlig andere Klangfarbe in die Kulturarena. Die elf Roma aus einem Dorf im Nordosten des Landes warteten mit Blasmusik auf, wie sie bei ihren Familienfesten üblich ist. Dabei wirft die Art ihrer Interpretation jedwede überkommene Vorstellung von klassischer Blasmusik über den Haufen. Von verschiedenen Einflüssen geprägt, vermischen sie ihre Polkas mit leicht dissonanten Harmonien. Sie spielen mit einer kaum noch zu übertreffenden Geschwindigkeit. Andererseits zaubern sie manchmal nur zu viert - getragene Stücke mit poetischen Melodien und filigranen Klangmustern. Da kennt die Spielfreude auf der Bühne ebensowenig Grenzen wie die Tanzfreude der Besucher vor der Bühne. Und es wundert dann kaum jemanden, daß die Musiker mit ihren bereits Patina ansetzenden Instrumenten sich plötzlich inmitten des Publikums befinden. Auch das ist eben Jenaer Kulturarena live.