nd-aktuell.de / 04.08.1998 / Politik / Seite 13

Mehrzahl träumt von einer bürgerlichen Existenz

Auch eine vernachlässigende Erziehung, geprägt durch Distanz und Gleichgültigkeit, kann Gewalt zur Folge haben, insbesondere dann, wenn die Jugendlichen auch sonst wenig sozialen Halt und Anerkennung haben. Gewalt werde dann manchmal benutzt, so Kernaussage fünf, um Beachtung zu finden. Zum Punkt Gewalt in der Schule ergab die Studie, daß von den Jugendlichen als ernsthaft erlebte Gewalthandlungen eher außerhalb des Schulbereichs erfolgt waren - die Schüler wollten sich Sanktionen und sozialer Kontrolle entziehen. Ging es jedoch um soziale Ungerechtigkeiten oder um die »Wiederherstellung von Ehre«, wurden die Gewalthandlungen in der Schule ausgeführt - auch, um Dritte auf das Problem aufmerksam zu machen. Jugendliche hingegen, die ohnehin keinerlei Hoffnung und Perspektive für ihr weiteres Leben mehr sahen, sozial desintegriert waren, übten Gewalt ohne Unterschied in der Schule und außerhalb der Schule aus: Das Sanktionssystem der Schule hatte für sie keine Wirksamkeit mehr

Zum Themenfeld Medien fand das Projektteam heraus, daß bei jenen Jugendlichen, die keine Disposition zur Gewalt zeigten, auch die Medien sie nicht dazu anstifteten. Bei jenen jedoch, die bereits eine herausgebildete Gewaltbereitschaft zeigten, konnten Gewaltdarstellungen in den Medien durchaus eine steigernde Wirkung entfalten. Böttger nannte hier das Beispiel der Neonazis, die sich mit Alkohol durch Musik mit Texten, die zur Gewalt aufrufen, unmittelbar zu entsprechenden Handlungen anstiften ließen.

Böttger warnte jedoch vor einer eindimensionalen Erklärung der Jugendgewalt. Weder die so gerne zitierte »zerrüttete Familie« sei die bestimmende Ursache für Jugendgewalt, noch die »gesellschaftliche und soziale Desintegration«. Vielmehr seien hier komplizierte Wechselwirkungen festzustellen: So sei familiäre Gewalt eben oft die Folge von Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Die meisten der gewalttätigen Jugendlichen kamen entsprechend aus unteren sozialen Schichten, aber nicht alle: So

Foto: Thomas Schulz

habe es in dieser Gruppe beispielsweise auch einen gewalttätigen Punk aus einer Pastorenfamilie gegeben. Geht es um die Zukunftshoffnungen der gewalttätigen Jugendlichen, so wünschen sie sich sehnlich das »Normale«, das sie nie hatten: »Die Träume sind in der Mehrzahl die einer klassischen bürgerlichen Existenz: Die Ehe, die Kinder, ein Einfamilienhaus und der Audi 100 vor der Tür «