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Kiezoase mit einem Hauch von KuK

»Weinbeißer«: Mehr als Wein und Leckereien Von Eva Neumann

  • Lesedauer: 3 Min.

Rotwein »lebendig und gehaltvoll« Der Chef (rechts) vor seinem Laden ND-Foto: Burkhard Lange

Es gibt da in Friedenau inmitten alter Bäume und Villen einen kleinen Laden namens »Weinbeißer« - der ist viel mehr als ein Laden. Vor der Tür auf dem gepflasterten Trottoir stehen Blumenkübel, ein großes Weinfaß und eine Schaukelente aus Holz. Durch die großen alten Ladenfenster über Eck schauen Sonnenblumen heraus auf die Spaziergänger.

»Grüß Dich, Christoph!«, sagt der junge Ladenchef, der da vor der Tür auf einer Bank sitzt, oder- »Servus Katharina, magst' oan Wein?« Tritt man ein in das Geschäft, trifft man sogleich auf das riesige Porträt eines jungen Paares vergangener Zeiten: »Das ist mein Ururgroßvater mit seiner Frau«, erzählt der österreichische Ladenchef Ludwig Chlubna. »Sein Bruder war in der Schlacht bei Königgrätz dabei«, fügt Chlubnas Mutter hinzu, gerade zu Besuch aus dem heimi-

schen Wien. »Damals haben die Preiß'n ordentlich zugeschlagen«, lacht Chlubna.

Die Liebe zu einer Berlinerin war es, die ihn vor drei Jahren hierher verschlug. »Ach Ludi, machst Dein eigenes«, sagte seine Frau zu ihm. Immerhin war er als Verkäufer australischer Weine oft genug nach denen aus Österreich gefragt worden. Als dann auch noch der Laden um die Ecke frei wurde, war der »Weinbeisser« mit österreichischen Weinen und Feinkostspezialitäten beschlossene Sache. »Ich verkaufe Weine, die man auch als Wiener in Wien trinken würde«, sagt Chlubna. Er führt Rebsorten, die ausschließlich in Österreich wachsen: »sehr trockene, feinfruchtige, leichte« Weißweine wie den grünen Veltliner, aber auch »lebendige, gehaltvolle« Rotweine wie die Rebsorte Zweigelt.

Österreich hat - nach dem Glykolskandal - das strengste Weingesetz Europas. Heute bietet das Land laut Chlubna Weine einer neuen Generation von Win-'

zern in Spitzenqualität. Er hat immer zwei, drei Flaschen geöffnet, damit die Kunden probieren können, und einmal pro Monat findet im Weinbeißer auch eine Weinprobe statt. Über Großhandel läuft hier so gut wie nichts. Fünf Winzer mit zumeist kleinen Weingütern um die zehn Hektar beliefern Chlubna. Einer von ihnen heißt Josef Leberwurst. Er hat ein

freundliches Lächeln, trägt eine Schiebermütze. Sein Porträt hängt im Laden über dem von ihm erzeugten Wein.

Chlubna hat einige »seiner« Winzer porträtiert, denn er war auch einmal Fotograf. Landschaftsaufnahmen finden sich und das Abbild eines dicken Kürbisses: »Ach, ich hab' mir gedacht, wenn die Leute Kürbiskernöl kaufen, mögen

sie vielleicht auch einmal sehen, wie ein Kürbis ausschaut«, lächelt Chlubna. Feinstes aromatisches Kürbiskernöl aus der Steiermark gehört zu den Spezialitäten.

Dazu kommen Produkte von speziellen Bauernhöfen: Selchwürstel, luftgetrocknet oder buchweizengeräuchert, Bauchschmeck, eine Art Schinkenschmalz, Kren (Meerrettich), Senf. Auf der süßen Seite die Spezialitäten des Wiener Traditionsbetriebes Kurt Pischinger: Das »Betthupferl« beispielsweise, Nougat oder Oblatentorten. Auch Konfitüren und Kaffee schmücken die schlichten Holzregale. Wer seine Gäste einmal österreichisch bewirten möchte, kann bei »Weinbeißer« ein »Heurigenbuffet« inklusive Wein zusammenstellen lassen mit Salaten, Liptauerkäse, Selchwürstel...

Der berühmte Heurige geht auf ein Gesetz aus dem 18. Jahrhundert zurück, das es jedem Winzer erlaubt, fünfmal pro Jahr selber Wein im Buschenschank auszuschenken. Wien ist die einzige europäische Hauptstadt, die ein eigenes Weinanbaugebiet zu ihrem Stadtgebiet zählt. »Da fahrt man dann 'raus in die Hügel an so oan lauschiges Plätzchen und trinkt Wein - ach, das vermiß i schon manchmal in Berlin«, sagt Chlubna.

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