nd-aktuell.de / 28.05.2005 / Wissen

Zugvögel mit Nachtsicht

Oldenburger Biologen fanden spezialisiertes Hirnareal

Oldenburg (ND). Alljährlich machen sich Millionen von Zugvögeln auf den Weg in wärmere Gefilde und wieder zurück. Auf den Tausende Kilometer langen Routen finden sie Tag und Nacht mit erstaunlicher Präzision ihren Weg. Besonders die nächtliche Orientierung mit Hilfe des Magnetfeldes der Erde und des Sternenhimmels hat es einer Nachwuchsforschergruppe um Henrik Mouritsen am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg angetan. Jetzt konnte das Forscherteam erstmals einen besonderen Gehirnbereich lokalisieren, der bei nächtlich ziehenden Singvögeln für das Nachtsehen zuständig ist. Bei den Studien arbeiteten die Oldenburger Forscher mit Neurobiologen von der Duke University (US-Bundesstaat North Carolina) Erich Jarvis zusammen. Diese als Cluster N bezeichnete Region wird aktiv, sobald die Vögel auf »Nachtflug« gehen, schreiben die Forscher in der Online-Ausgabe des US-Fachjournals »Proceedings of the National Academy of Sciences« (www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas0409575102). Da das Gehirnareal bei geschlossenen Augen nicht aktiv ist, sind sich die Biologen sicher, dass es ausschließlich dem Nachtsehen dient. Erst im vergangenen Jahr hatte das Team von Mouritsen starke Hinweise auf den vermuteten Magnetsinn der Zugvögel gefunden. In der Netzhaut der Tiere hatten Cryptochrom-Moleküle identifiziert, mit denen die Vögel das Magnetfeld »sehen« könnten. Ihre Erkenntnisse über die Orientierung im Dunkeln mit Hilfe von Magnetsinn und Sternenhimmel führte sie zu der Hypothese, dass nächtliche Zugvögel ein spezialisiertes Nachtsicht-System besitzen müssen. Um diese Annahme zu prüfen, haben die Wissenschaftler die Gen-aktivitäten im Gehirn von nachtziehenden Singvögeln und nichtwandernden Singvögeln verglichen. Für die Versuche wählten sie zwei entfernt verwandte Arten nachtwandernder Zugvögel aus ? Rotkehlchen und Gartengrasmücken ? und entsprechend zwei Arten von Nicht-Zugvögeln ? Zebrafinken und Kanarienvögel. Die Tiere wurden im Zeitraum des normalen Vogelflugs (August bis Oktober und April bis Mai) in durchsichtige Käfige gesetzt, wo die Forscher ihr Verhalten genau beobachten konnten. Zu bestimmten Zeitpunkten am Tag oder in der Nacht wurden dann Genaktivitätsstudien an den Gehirnen der Tiere vorgenommen. Die Wissenschaftler entdeckten bei den nachtwandernden Singvögeln ein Gehirnareal, das nur nachts eine hohe Genaktivität aufwies. Dieser Gehirnbereich war hingegen bei jenen Singvögeln, die nachts nicht wandern, nicht zu finden ? und bei den Zugvögeln verschwand die Aktivität, wenn man ihnen »Augenklappen« aufsetzte.