nd-aktuell.de / 24.09.1998 / Politik / Seite 1

Jäger der vertanen Zeit

Frank Wehner

Wer sieben Monate halbwegs nutzt, kann vieles schaffen - sofern man nicht der mächtigste Militärpakt der Erde ist. In pimeto Kosovo zumindest hat die NATO in dieser Frist nur eins gesichert, daß im Gedanken an die Flüchtlinge, denen der Winter droht, allen die Haare zu Berge stehen.

Sieben Monate wurden verloren mit Gerede, dem Schmieden von Plänen, um Milosevic in die Knie zu zwingen, mit Drohgebärden, die die Untergrundkämpfer der Kosovo-Albaner glauben machten, der Westen wäre an ihrer Seite. Und zwischendurch hat man für viele Wochen die Krise ganz vergessen. Noch bis gestern jedenfalls waren eingetrocknete Spermaflecke in Washington unendlich wichtiger als Blut, das auf dem Balkan floß. Nur Rühe war ständig bei der Sache. Doch auch das hatte mit Kosovo nur nebenbei zu tun, ihm ging's vor allem um Wahlkampfmunition. Wer daheim nichts bieten kann, versucht eben, aus einem fernen Krieg Profit zu schlagen.

Noch nie gab's eine Region wie den Balkan, in der sich die NATO derart engagierte. Bewiesen wurde aber bislang nur- Auch wenn die Gegner nun Zwerge sind, Realitäten einzuschätzen - das ist auch heute noch nicht die Stärke westlicher Politiker und Militärs. Nicht nur im Kosovo. In Bosnien waren die Wahlen eine Pleite für die NATO-Favoriten, gerade weil der Pakt sie stützte. In Albanien sieht es düster aus. In Serbien trugen Einmischung und Druck dazu bei, daß die Rechtsextremen mitbestimmen, und Montenegros westlich gesponserter Präsident versagt auch als Hoffnungsträger

Gerechnet hat man stets brillant, nur aufgegangen ist nichts. Und mit der Resolution des UN-Sicherheitsrats, auf die die Jäger der vertanen Zeit nun setzen, könnte es ebenso geschehen. So wie bis jetzt zu vernehmen war, ist sie kein Freibrief für einen Militäreinsatz, kein Sprungbrett für ein nachzureichendes Gewaltmandat, kein pures Anti-Belgrad-Pamphlet, und ob es gelungen ist, Moskau endlich weichzuklopfen, wird sich erst noch zeigen müssen. Es scheint sogar, als würde die Realität berücksichtigt. Höchste Zeit war's, daß man dem Balkan dieses Glück bescherte.