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neugeschneidert?

28 neue Lehrberufe: Tropfen auf den heißen Stein Von Knut Henkel

  • Lesedauer: 3 Min.

Mechatronikerin, Mediengestaltenn oder Mikrotechnologin - drei der insgesamt 28 neuen Berufe, an deren Namen sich Auszubildende wie Ausbilder erst gewöhnen müssen.Zum I.August fiel der Startschuß für bundesweit 14 000 Jugendliche, die ihre neugeschneiderte Ausbildung aufnehmen, geht aus Statistiken des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) hervor.

Das Gros der neuen Ausbildungsberufe konzentriert sich auf den Kommunikationssektor, wo auch die Mehrheit der Lehrlinge unterkommen soll. Rund 70 Prozent sind es, die als Fachinformatiker im Softwarebereich, als Informatikkaufmann, Mediengestalter für Digital- und Printmedien oder Mediengestalter bei Funk und Fernsehen, bei den Printmedien oder in Werbeagenturen unterkommen. Obgleich viele Unternehmer von den auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Ausbildungsordnungen begeistert sind, werden lange nicht alle Lehrstellen zusätzlich eingerichtet, gibt auch Jörg Engelmann vom DIHT in Bonn zu: »Den neuen Lehrberuf des Automobilkaufmanns hat es letztlich auch vorher gegeben - nur ist die Ausbildung jetzt an die Erfordernisse der Branche angepaßt.«

Der Referent der Abteilung für berufliche Bildung ist allerdings überzeugt davon, daß der DIHT seinem Ziel, zusätzliche Lehrstellen zu schaffen, in diesem Jahr ein gutes Stück näher gekommen ist. »Fast 16 OOO Unternehmen haben bis August dieses Jahres erstmals die Ausbildung aufgenommen, 2100 davon gingen auf das Konto der neuen Berufe«, rechnet er vor Für ihn sind neue und moderne Berufsbilder der einzige Weg zum Erfolg, um alle Jugendlichen mit einer Lehrstelle zu versorgen. Daß der DIHT mit seinen Bemühungen viel dazu beiträgt, läßt sich an deren Statistiken ablesen. 18 000 zusätzliche Lehrverträge bis zum 31. August kann der DIHT im Vergleich zu 1997 vorweisen. Die Organisation ist sich sicher, daß sie ihr Ziel, 300 000 neue Lehrverträge in diesem Jahr »abzuschließen«, erreichen wird.

Die positiven Nachfichten aus der DIHT-Zentrale in Bonn lesen sich beinahe wie die Entwarnung auf dem bundesdeutschen Ausbildungsmarkt. Doch davon ist man noch weit entfernt. 151 600 Bewerbern standen Anfang September 58 900 offene Lehrstellen gegenüber, so der Chef der Bundesanstalt für Arbeit. Besonders prekär ist die Lage im Osten, wo dem Sprecher der ostdeutschen SPD-Abgeordneten, Rolf Schwanitz, zufolge, auf jede offene Lehrstelle acht Bewerber kommen. Und auch die neuen Lehrberufe werden an dieser Situation nichts gravierendes ändern, da die Zahl hinrei-

chend spezialisierter Betriebe in den neuen Ländern eher rückläufig ist. Eine Tatsache, die in der DIHT-Bilanz allerdings nicht enthalten ist.

Für Sozialarbeiter in Ost und West sind ?die neuen Lehrberufe sowieso eher auf die ohnehin schon hochqualifizierten Jugendlichen zugeschnitten, was auch Herr Schirbeker von der Hamburger Industrieund Handelskammer nicht bestreitet. Für ihn sind jedoch 10 bis 15 Prozent der Schulabgänger eines Jahrgangs erfahrungsgemäß nicht »ausbildungsreif«. Ihnen mangele es an der notwendigen Qualifikation, nämlich »an ausreichenden Rechtschreibkenntnissen, am notwendigen Sozialverhalten und so weiter Diesen Jugendlichen bieten wir berufsvorbereitende Maßnahmen, unser Berufspraktikantenmodell, an«, so Schirbeker großzügig. »Wer bis Mitte Oktober keine Lehrstelle bekommen hat, muß sich ohnehin die Frage nach seiner Qualifikation gefallen lassen«, ist sich der Kammervertreter sicher

Doch lange nicht alle Ausbildungswilligen gehören zu denjenigen, die via »Berufspraktikantenmodell« an die Lehrstelle herangeführt werden müssen, weiß der Hamburger Sozialarbeiter Till Kobusch, der Jugendlichen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Seite steht. Zu ihnen gehören beispielsweise die sogenannten Konkurslehrlinge, die nach der Pleite ihres Lehrbetriebs ohne Lehrstelle dastehen. Doch auch für diejenigen, die sich in einer Weiterbildungsmaßnahme Hoffnungen auf bessere Zeiten machen, sieht es nicht rosig aus. »Auch im nächsten Jahr wird es einen Run auf die raren Ausbildungsplätze geben, denn trotz der Bemühungen der Arbeitsämter sieht es nicht so aus, als ob den Bewerbern ausreichend Lehrstellen zur Verfügung stehen werden. Damit fallen die weniger Qualifizierten durchs Netz«, gibt Kobusch zu bedenken. Mit dem Ideal der freien Berufswahl hat das wenig zu tun.

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