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Chomeinis Pfeil und Rushdies Ballon

  • Thomas Ruttig
  • Lesedauer: 2 Min.

Betrachten Sie die Angelegenheit als abgeschlossen. Oder im persischen Originalton: Chattem-schud, erledigt. Vergessen Sie alles.

Das jedenfalls ist der Tenor der Botschaft, die Irans »Reformpräsident« Mohammad Chattami am Dienstag in New York verkündete. Seine Regierung betrachte die »Affäre« um den in Bombay geborenen und in Pakistan aufgewachsenen britischen Romancier Salman Rushdie als »vollständig abgeschlossen«. Außenminister Kamal Charrazi, will der »Guardian« wissen, werde heute gegenüber seinem britischen Kollegen Robin Cook noch deutlicher werden: Man wolle die »Stiftung 15. Khordad« auffordern, das von ihr auf Rushdie ausgesetzte Kopfgeld von 2,5 Millionen Dollar zurückzuziehen.

Dahinter steckt Kalkül, nicht Überzeugung. Denn Iran möchte demnächst einen britischen Minister in Teheran empfangen (ein deutscher, ein italienischer, ein französischer waren schon dort), und da macht es sich natürlich schlecht, wenn auf einen Bürger des Staates, aus dem der Gast kommt, im Gastgeberland eine Kopfprämie ausgesetzt ist, nur weil dieser ein Buch geschrieben hat. Jetzt kommt es darauf an, ob Cook Chattamis und Charrazis Zusicherungen genug sind.

Einem sind sie ganz sicher nicht genug: Rushdie selbst. Denn Chattami beeilte sich zu sagen, daß damit die eigentliche Todesdrohung, die von einer Fatwa {Rechtsgutachten) des Ayatollah Chomeini vom 18. Februar 1989 nicht widerrufen ist. Das könne man nicht, aus Respekt vor dem quasiheiligen Revolutionsführer Wird Cook von der britischen Forderung nach deren Widerruf Abstand nehmen? Oder ist ihm die »Normalisierung der Beziehungen« zum literaturfeindlichen, aber ölreichen Iran wichtiger?

Chomeini ist zwar auch schon »chattem-schud«, also hinüber bzw eben nicht (laut Koran entscheidet sich auf der rasiermesserscharfen Brücke Sirat, wer ins Paradies kommt; wen die Sünden zu sehr drücken, den zerschneidet sie beim Hinübergehen, und er fällt ins ewige Höllenfeuer). Aber der von ihm auf Rushdie abgeschossene Pfeil fliegt weiter Denn wie die Organisationsform der Todesdrohung - über die Stiftung 15. Khordad - ist auch deren Ausführung schon längst privatisiert. Und wer kann garantieren, daß es nicht irgendein durchgedrehter Pseudo-Moslem vom Schlage der Botschaftsattentäter in Nairobi und Daressalam für den besten Direktweg ins Paradies hält, Rushdie umzubringen und dabei selbst von den Pistolen seiner Leibwächter zum »Märtyrer« gemacht zu werden?

Rushdie hat sein fast zehnjähriges Leben im Untergrund einmal mit einer Ballonfahrt verglichen, die über Ungewisses Terrain führt. Der Ballon verliert immer dann an Luft, wenn ihn die Menschen vergessen. Diese Gefahr droht wirklich, wenn Chattamis Botschaft wirkt wie beabsichtigt.

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