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Feuerteufel mögen Baustellen

Landesbranddirektor Albrecht Broemme zur Situation in Berlin

  • Lesedauer: 6 Min.

ND-Foto: Burkhard Lange

A brecht Broemme

? Brennt es derzeit eher mehr oder eher weniger in der Stadt?

Zwischen Januar und September haben sich die Einsatzzahlen gegenüber den gleichen Monaten des Vorjahrs um etwa fünf Prozent verringert. Genaue Daten liegen nicht vor, weil die Statistik noch von Doppeleinsätzen und ähnlichem befreit werden muß.

? Wie bewerten Sie diesen Trend?

Ich bin zufrieden. Unser Ziel ist es ja, durch Aufklärung Vernunft und Vorsicht zu fördern und technische Probleme weitgehend auszuschließen, damit Unglücksfälle auf ein Minimum zurückgehen.

? Und wo dürfte sich dieses ansiedeln?

Es existiert eine kaum definierbare Grenze nach unten. Die Anzahl der Brände lag - bezogen auf Gesamtberlin nach 1990 - bei 15 000. Dieses Jahr könnten es um die 12 000 werden und demnächst unter 10 000. Dort könnte es sich einpegeln. Nicht jeder Brand läßt sich verhindern. Und zudem gibt es ja Pyromanen und Brandstifter

? Ähnelt sich die Tendenz in allen Stadtbezirken?

Nein, dort, wo saniert wird, brennt es häufiger In Wedding und Neukölln hatten wir eine solche Entwicklung vor 15 oder 20 Jahren. Das normalisiert sich.

? Das Übel heißt Sanierung?

Zumindest für die Feuerwehr Wo gro-ße Mengen von Baumaterial liegen, vermehrt sich die Gefahr der fahrlässigen Brandstiftung, etwa beim Umgang mit Propangasbrennern, bei Dachdeckerarbeiten, bei Schweiß- und Lötarbeiten. Große Firmen stellen Brandwachen oder kontrollieren ständig gefährliche Arbeitsplätze. Das findet auf Baustellen kaum statt. Und so kommt es rasch zu üblen Bränden. Wie in Lichtenberg, als

ein Gerüst an einem Neubau über drei Geschosse gebrannt hat und sich das Feuer in Wohnungen hinein ausbreitete.

? Welcher Stadtbezirk besorgt Sie heutzutage?

Prenzlauer Berg. Wegen der noch immer vielen Ofenheizungen handelt es sich aber meist um lodernde Mülltonnen, entzündet durch heiße Asche. Häuser brennen dort nicht häufiger als anderswo.

? Wie sieht es beim Rettungsdienst aus? Hier registrieren wir einen Rückgang

der Einsätze um etwa zwei Prozent. Ob sich das durch Verlagerung von Krankentransporten an Freie Träger ergeben hat, darüber wäre momentan nur zu spekulieren. Gemeinsam mit den Krankenkassen sowie den zuständigen Senatsverwaltungen erstellen wir derzeit ein Gutachten über den Rettungsdienst, das auch diesen Punkt klären wird.

? Hufen noch immer so viele an, um die Feuerwehr zu ärgern?

Die Zahl der böswilligen Fehlalarme sind von 4000 auf etwa 3000 im Jahr zurückgegangen.

? Zufall oder nicht?

Das sind Wirkungen der Technik. In der Leitstelle der Feuerwehr werden neuerdings alle Telefonnummern des Anrufers samt Adresse angezeigt, so daß wir bei Irreführungen oft gewarnt sind. Etwa, wenn jemand aus.,Marzahn anruft und sagt, in Köpenick sei ein Verkehrsunfall passiert. Und darin wird nachgefragt. Vielfach legt dann der Anrufer auf.

? An welche Einsätze der letzten Zeit erinnern Sie sich besonders?

Da gibt es viele, etwa die fatale Explosion in Steglitz mit sieben Toten. Der Einsatz dauerte 60 Stunden. In der Herrmannstraße brannte ein Teppichladen,

vermutlich Brandstiftung. Und plötzlich ging, bevor die Feuerwehr eintraf, das Haus in Flammen auf...

? Was halten Sie von einem immer noch überfälligen Katastrophenschutzgesetz?

Ich verspreche mir eine saubere Klarstellung von Zuständigkeiten. Im alltäglichen Dienst und auch bei besonderen Ereignissen wie den eben erwähnten, die ja alle noch weit unterhalb der Katastrophenschwelle einzuordnen sind, macht es sich nicht bemerkbar, daß es das Gesetz nicht gibt. Gleichwohl sind Fälle vorstellbar, wo man die gesetzlich klare Regelung braucht, damit in der Hektik des Großeinsatzes nicht Streit beginnt, wer wofür zuständig ist, wer was darf und wer nicht.

? Haben Sie den Eindruck, daß Berlin auf Katastrophen vorbereitet ist?

Ja. Obwohl man dies immer wieder neu hinterfragen muß. Nach dem Zugunglück in Niedersachsen etwa haben wir darüber nachgedacht, wie wir mit so einem Fall umgehen würden, wo wir Pro-

bleme hätten, wo nicht. Derartige Planspiele gehören zum Feuerwehralltag.

? Lassen sich dann die Schlüsse, die sich daraus zwangsläufig ergeben, auch verwirklichen?

Nicht immer so, wie es nötig wäre. Das hat mit der Haushaltssituation zu tun. Wir können uns keine Szenarien oder vorbeugenden Schritte ausdenken, für die wir dann zwei oder gar hundert zusätzliche Stellen brauchen. Die Antwort würde stets lauten, daß dafür etwas wegfallen, verschoben, verlagert oder anders organisiert werden müßte.

? Und so schwindet zuerst, was nicht meßbar ist.

Die Brandschutzerziehung ist so ein Fall. Jeder weiß, wie wichtig sie ist. Weshalb viele Berufsfeuerwehrleute sich dafür freiwillig engagieren. Der gleiche Personenkreis ist natürlich auch von Stellenkürzungen betroffen. Er wird nicht entlassen, ist aber von den Folgen betroffen, nämlich verzögerte Beförderungschancen und Mehrbelastung durch veränderten Einsatzdienst. Im Grunde brauchte man 50 Leute, die systematisch und professionell Brandschutzerziehung betreiben. Dann hätten wir gewiß diesen oder jenen Großbrand weniger, von den kleinen gar nicht zu reden. Das Personal bekommen wir leider nicht, also muß man sich anderes ausdenken.

? Sie meinen Ihre Kampagne für Rauchmelder?

Als Beispiel, ja. Das Gerät kostet zwischen 50 und 80 Mark, wird an Wand oder Decke im Flur oder Kinderzimmer befestigt, funktioniert durch Batterie unabhängig vom Netz. Wenn Rauch entsteht, piepst das Gerät laut. Je eher das Umfeld gewarnt wird, desto wirkungsvoller sind alle Rettungsversuche. Wären damals Geschäft und Nebenräume in der Brunnenstraße mit Rauchmeldern ausgestattet gewesen, könnten womöglich die zwei Kinder noch leben, die vom Feuer eingeschlossen waren und erstickt sind. Berlin hat einen Ausstattungsgrad von vielleicht fünf Prozent. In den USA sind 95 Prozent der Wohnungen und Geschäftsräume mit dem Gerät versehen.

? Wie verkraftet die Feuerwehr die Spar auflagen?

Die Einschnitte im Haushalt machen ein vernünftiges Arbeiten immer schwieriger Doch stellt kein politisch Verantwortlicher eine leistungsstarke Feuerwehr in der Stadt in Frage. Eine privatisierte Wehr würde nämlich rasch Pleite gehen. Deshalb kostet die Berliner Feuerwehr den Steuerzahler am Tag etwas über eine Million Mark. Die Größenordnungen haben sich nicht geändert. Der größte Teil sind nach wie vor Personalkosten. Bedauerlicherweise muß auch die Feuerwehr immer noch mit unterschiedlicher Bezahlung leben, 86 Prozent für Ostler, 100 Prozent für Westler Gleiche Arbeit erfordert aber gleiche Bezahlung. Bis 1999 werden wir, wie uns auferlegt, zehn Prozent des Personals eingespart haben. Das sind etwa 500 Feuerwehrleute.

? Können Sie Technik und Ausrüstung kaufen, wie Sie sie brauchen?

Es gibt Bereiche, wo wir die Laufzeit von Fahrzeugen zwangsläufig verlängern und mehr Geld in die Instandhaltung stecken. Löschfahrzeuge sollen 15 Jahre und länger halten. Was es allein bedeutet, über eine solch lange Zeit Lkw-Ersatzteile zu bekommen und dem Rost zu wehren, kann man sich vorstellen.

? Nennen Sie doch mal eine Zahl, wieviel Sie weniger haben?

Wir verfügten vor dem Mauerfall in Westberlin für die Gebäudeunterhaltung über rund sieben Millionen Mark pro Jahr Im Rahmen eines Sonderprogramms stiegen danach diese Ausgaben auf elf Millionen Mark. Und dieses Jahr werden es voraussichtlich wieder unter sieben Millionen sein. Das heißt, wir verfügen derzeit für ganz Berlin über weniger Geld zur baulichen Unterhaltung als einstmals für den Westteil der Stadt. Und das ist sehr wenig, wenn man an den Zustand der Feuerwachen im Ostteil, aber inzwischen auch im Westteil denkt. Im schönen Bezirk Steglitz haben wir zur Zeit die desolateste Feuerwache Berlins. Gespräch: Rainer Funke

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