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Wahlsieger Schröder hält Koalitionsfrage offen PDS gestärkt / Pau schlägt Thierse

Bundestag Debakel für Union / Kohl kündigt Rücktritt von CDU-Vorsitz an / Grüne und FDP büßen ebenfalls ein Neben SPD gewinnt PDS Zweitstimmen hinzu / Auch Gysi und Luft mit Direktmandaten

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Foto: Reuters

Der Wahlsieger

Nach 16 Jahren ging mitderWahl am Sonntag die Ära Helmut Kohl zu Ende. Die nächste Bundesregierung wird SPD-Wahlsieger Gerhard Schröder bilden; mit wem er koaliert, ließ er offen. Neben der SPD verbuchte nur die PDS Gewinne. Gregor Gysi, Christa Luft und Petra Pau gewannen Direktmandate. Nach dem schlechtesten Unions-Ergebnis seit 1949 kündigte Kohl seinen Rücktritt vom CDU-Vorsitz an. Rechtsextreme Parteien kamen nicht in den Bundestag.

Bonn (ND-Rex). Die SPD feierte am Sonntagabend in Bonn ihre aktuellen Lieblinge Schröder als Wahlsieger und Parteichef Oskar Lafontaine als Architekten eines sensationellen Erfolgs. Schröder nannte das Wahlergebnis einen Sieg seines Konzepts der »neuen Mitte«. Das werde auch Verpflichtung für seine Politik sein.

Ohne konkreter zu werden, nannte Schröder drei Ziele: Wichtigste Aufgabe sei der Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit. Deshalb werde er zu einem neuen Bündnis für Arbeit einladen. Er wolle für innere Sicherheit sorgen und die Kontinuität in der Außenpolitik gewährleisten. Seine Regierung werde das Land »durchgreifend modernisieren und den Reformstau überwinden«.

Kohl warf Schröder vor, das Land in zwei Lager gespalten zu haben. Seine Aufgabe sei, das Volk zusammenzuführen. Nach der staatlichen wolle er eine »innere Einheit herstellen«. Den Ostdeutschen versprach er, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Lafontaine sprach von einem historischen Sieg seiner Partei. Es gehe ihm darum, soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.

Kohl nahm die Verantwortung für die erdrutschartige Niederlage der Union auf sich. Er werde nicht mehr für den Parteivorsitz zur Verfügung stehen. Es sei

seiner Partei nicht gelungen, den Wählern die notwendigen Veränderungen und Entscheidungen deutlich zu machen, die getroffen werden müßten. Auch CSU-Chef Theo Waigel erkannte die Niederlage der Union an. Er verwies aber darauf, daß seine Partei einen höheren prozentualen Anteil als die CDU erzielte. Eine große Koalition lehnte Waigel entschieden ab. Auch einflußreiche CDU-Politiker kündigten an, in die Opposition zu gehen. Für die PDS erklärte Vorsitzender Lothar Bisky, an seiner Partei werde eine neue Regierung von SPD und Grünen nicht scheitern. Er hoffe nicht, daß es

eine große Koalition geben werde. Die Wahlergebnisse zeigen, so Bisky, daß seine Partei als linke soziale Opposition angenommen wurde. Gregor Gysi, Gruppenchef im Bundestag, machte deutlich,

daß es ihm lieber wäre, wenn SPD und Grüne die PDS-Stimmen für die Kanzlerwahl nicht brauchen. Schröders Politik sei ihm zu »mittig«. In der Opposition könnte die PDS eine rot-grüne Regierung mit linker Politik unter Druck setzen. Seine Partei werde die SPD auch an ihre Wahlversprechen erinnern. Wie SPD und Grüne bezeichnete Gysi die Abwahl Kohls als wichtigstes Ereignis.

Bei Redaktionsschluß schwankte das PDS-Ergebnis in den Hochrechnungen zwischen 5 und 5,2 Prozent. Sicher war, daß Christa Luft, Petra Pau - in Mitte/ Prenzlauer Berg gegen SPD-Vize Wolfgang Thierse - und Gregor Gysi Direktmandate gewannen.

Für die Bündnisgrünen forderte Parteisprecher Jürgen Trittin eine rot-grüne Regierung. Geschäftsführerin Heide Rühle wünschte sich Gespräche »gleicher Partner« mit der SPD Eine große Koalition von SPD und CDU/CSU würde nur Stillstand bedeuten. Fraktionssprecher

Joschka Fischer räumte Fehler im Wahlkampf ein. In den letzten Wochen habe die Partei aber zusammengestanden.

FDP-Chef Wolfgang Gerhardt sagte, die Liberalen hätten sich in einem schwierigen Wahlkampf behauptet. Seine Partei werde sich nun auf die Opposition einrichten. Von einer Koalition mit der SPD wollte Gerhardt gestern nichts wissen.

Für die Gewerkschaften sprach DGB-Chef Dieter Schulte von »größeren Voraussetzungen für eine andere Politik«. Schulte warb wie Kanzlerkandidat Schröder für ein neuen Anlauf zu einem »Bündnis für Arbeit«. Der DGB-Chef begrüßte es, daß die SPD die gekürzte Lohnfortzahlung bei Krankheit wieder rückgängig machen will. Der Präsident des Unternehmerverbandes BDI, Hans-Olaf Henkel, sprach von einem »Ergebnis, das uns nicht freut«. Er wolle mit der neuen Regierung reden, damit sie die eine oder andere »Reform doch nicht zurücknimmt. Seiten 2 bis 4

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