Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Ausgeböhmt

  • Lesedauer: 2 Min.

Erich Böhme

moderierte gestern zum letzten Mal die Diskussionsrunde »Talk im Turm« auf SAT1

Foto: SAT 1

»Ich werde nie ein Herr sein, aber ich würde gerne einer sein«. Dem, dem dieses Selbstbekenntnis vergangene Woche in einem Interview mit dem Magazin »Stern« über die Lippen kam, hätte man vor einigen Jahren solch souveräne Ehr-

lichkeit gar nicht zugetraut. Hat die lange Abwesenheit vom Herrenclub »Spiegel« Erich Böhme einen Schuß Weisheit verliehen? Vielleicht ist das aber auch so bei in die Jahre gekommenen Herren, die auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken können, daß sie sich gerne selbstkritisch zeigen, wenn's eh nicht mehr weh tut. Mit 68 Jahren Schwächen zu zeigen, macht sich allemal gut.

Gestern schwang der ehemalige Chefredakteur des »Spiegels« zum letzten Mal seine Brille bei »Talk im Turm«. Schon vor Monaten erklärte er seinen Rückzug - rechtzeitig, bevor ihm Sabine Christiansen den Quotenrang endgültig streitig machen konnte. Dem Medium Fernsehen hat Böhme zu verdanken, daß sein Gesicht sozusagen öffentlich wurde. Während seiner Tätigkeit bei den Printmedien war sein Name allenfalls Berufskollegen und Politikern ein Begriff. Den Abgang inszenierte er allerdings nicht, ohne noch mit Steinen nach seinen bisherigen Brötchengebern zu werfen. »Laßt die anderen ihr Kinderfernsehen machen. Die Verblödung des Fernsehens kann auch ohne mich fortschreiten.«

Hat er acht Jahre gebraucht, um zu dieser klugen Erkenntnis über den Charakter des Werbefernsehens mit Programmunterbrechung zu gelangen? Oder ist es einfach nur ein Charakterzug Böhmes, den anderen immer nachträglich vors Schienbein zu treten? Blickt man in Böhmes Vergangenheit, neigt man zur letzteren Vermutung. Als er Ende 1989 im Streit vom »Spiegel« schied, beschrieb er dessen Herausgeber Rudolf Augstein als einen Chef, der das Hamburger Nachrichtenmagazin nach Gutsherrenart führe. Jetzt hat es eben SAT 1-Manager Fred Kogel getroffen.

Ganz kann es der studierte Volkswirt aber dennoch nicht lassen. Auf n-tv wird er weiterhin zusammen mit Heinz Eggert den »Grünen Salon« moderieren. Böhmes Nachfolger auf SAT 1 wird's schwer haben, seinen eloquenten Vorgänger in der Publikumsgunst auszustechen. Fraglich, ob ein Moderator mit hochgekrempelten Hemdsärmeln Hosen-herunterlassende Studenten mehr beeindruckt als ein gekonnt nervös mit der Lesebrille herumfuchtelnder Erich Böhme.

Jürgen Amendt

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal