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SPD muß sich jetzt entscheiden

PDS hat ihr Wahlziel erreicht und will heute Verhandlungsgrundlage beschließen Mecklenburg-Vorpommern Von Claudia Schreyer und Uwe Kalbe, Schwerin

  • Lesedauer: 5 Min.

Nachdem die SPD aus den Wahlen als stärkste Kraft hervorgegangen ist, muß sie nun entscheiden, mit wem sie regieren will. Drittstärkste Kraft im künftigen Drei-Parteien-Parlament ist erneut die PDS, die jetzt einer Regierungsbeteiligung sehr nahe gerückt ist. Erleichterung herrschte über das Scheitern der rechtsextremen Parteien.

»Die Wähler haben der

Polarisierungspolitik der Union eine klare Absage erteilt. Zweifellos hat die SPD von der Konstellation in Bonn mitprofitiert. Ziel ist es, ein Maximum an sozialdemokratischer Politik durchzusetzen.«

Foto: dpa/Büttner

So wie in den vergangenen Monaten und Wochen legte sich die strahlende Siegerin SPD allerdings auch gestern abend nicht fest, wen sie an der Regierungsverantwortung beteiligen will. »Wir werden mit beiden Parteien reden«, sagte der stellvertretende Ministerpräsident und SPD-Sozialminister Hinrich Kuessner Er könne sich sogar eine von der CDU tolerierte SPD-Minderheitsregierung vorstellen. Vergangenheitsvorwürfe gegenüber der PDS halte er mit Blick auf eventuelle Koalitionsverhandlungen nicht für zeitgemäß. Noch heute tagen SPD-Parteirat und -Landesvorstand, um über Ziele und Fahrplan anstehender Sondierungsgespräche zu beraten.

Der Landes- und Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der SPD, Harald Ringstorff, hatte von Anfang an und verstärkt im Wahlkampf kein Geheimnis daraus gemacht, daß er von der großen Koalition nicht allzu große Stücke hält und immer wieder den Politikwechsel in Bonn und Schwerin angemahnt. Das Ergebnis von gestern abend ist deutlicher Ausdruck dafür, daß die Wählerinnen und Wähler genau einen solchen wollen: Die CDU, bisher stärkste Fraktion im Landtag und seit acht Jahren in Regierungsverantwortung, wurde nach den ersten Prognosen von stolzen 37,7 Prozent unter die 30-Prozent-Grenze gestürzt; die Sozialdemokraten haben ihr bisher be-

stes Ergebnis im Land eingefahren. Obwohl oder weil sie einer Zusammenarbeit mit der PDS nicht von vornherein eine Absage erteilten. Die Bürgerinnen und Bürger wollen endlich das bedrückendste Problem, die hohe Arbeitslosigkeit im Land, bekämpft sehen und haben sich nicht von den Wahlkampf-ABM blenden lassen.

Zur gleichen Zeit wie die SPD kommt die CDU-Landesspitze heute abend zusammen, um Pläne zu schmieden. Hier liegt der Fall nach dem Wahlergebnis relativ klar auf der Hand. Dem Wählerwillen entsprechend müßte sie abdanken. Theoretisch ist zwar eine große Koalition mit der SPD möglich, das Sagen hätten dann allerdings die Sozialdemokraten. Auch Ministerpräsident Berndt Seite hatte in der jüngsten Vergangenheit zwar nicht sehr begeistert von der großen Koalition gesprochen, aber eine solche nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig hat er das Schreckgespenst einer Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS an die Wand gemalt.

Die PDS konnte mit rund 25 Prozent ihr erklärtes Wunschergebnis erreichen, der Jubel auf der PDS-Etage im Schweriner Schloß war entsprechend groß. »Wir sind keine Träumer«, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Landtagsfraktion Arnold Schoenenburg, seine Partei habe politische Vorstellungen, die mit der SPD realisierbar seien. Die demokratischen Sozialisten haben sich in den vergangenen Wochen vorbereitet: Schon heute nachmittag will der Landesvorstand die Grundlagen beschließen, auf denen die Gespräche mit der SPD geführt werden sollen. Die fünfköpfige Arbeitsgemeinschaft Positionen hat dazu eine Vorlage erarbeitet, die sich im wesentlichen an den sechs Punkten orientiert, mit denen die PDS den Sozialdemokraten bereits im August ein Angebot »zur gemeinsamen Lösung der schwerwiegenden Entwicklungsprobleme des Landes« unterbreitet hatte. Eine

gemeinsame Politik soll sich dafür einsetzen, daß dem Rechtsextremismus der politische, soziale und geistige Boden entzogen wird. Und wie die PDS bereits mehrfach betonte: Verhandlungen zwischen den Parteien müßten ohne ideologische Vorbedingungen stattfinden.

An erster Stelle der inhaltlichen Mindestanforderungen der PDS an eine neue Politik stehen Arbeit, Ausbildung und soziale Sicherheit; unter anderem wird der Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf berufliche Erstausbildung gefordert. Weitere Forderungen sind: Chancengleicher Zugang für Bildung und Kultur, die Stärkung der Kommunen sowie eine Verbesserung der demokratischen Mitwirkungsrechte, die Unantastbarkeit der Bodenreform, die Stabilisierung des ländlichen Raumes und schließlich eine Haushalts- und Finanzpolitik, die sich an diesen Entwicklungserfordernissen orientiert.

Weil es viele Probleme gibt, die auf landespolitischer Ebene nicht gelöst werden können, wurde die Beschlußvorlage um den Punkt Bundesratsinitiativen er-

gänzt. Eine künftige Landesregierung soll sich unter anderem für die Rücknahme der sozialen Verschlechterungen in der Ära Kohl einsetzen. »Das sind sehr maßvolle Sachforderungen«, sagte der parlamentarische Geschäftsführer und Mitarbeiter in der AG Positionen, Arnold Schoenenburg.

Die Meinungen einzelner Politiker und Fraktionsarbeiter, wie sie in einer Papierflut unter anderem von der CDU-Landtagsfraktion im Internet verbreitet wurden, werden bei den Verhandlungen nach Angaben Schoenenburgs keine Rolle spielen. Sie könnten allenfalls als Orientierungshilfen für Entscheidungen genutzt werden. Der heutige Beschluß des Landesvorstandes wird den Delegierten des Parteitages unterbreitet, der am 10. Oktober in Sternberg entscheidet, ob die PDS weiterhin in der Opposition bleibt, koaliert oder toleriert. Auf der heutigen Landesvorstandsitzung soll darüber hinaus die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation bestimmt werden, 1994 war es eine fünfköpfige Gruppe, darunter der Landesvorsitzende und der parlamentarische Geschäftsführer

Große Enttäuschung herrschte gestern bei Bündnis 90 / Die Grünen, die bereits zum dritten Mal den Einzug in das Landesparlament verpaßten. Vorstandssprecher Klaus-Dieter Feige hatte in der Vergangenheit immer vor einer Koalition zwischen SPD und PDS gewarnt. Damit sei eine Politik des Stillstands wie in den vergangenen vier Jahren programmiert. Darüber hinaus habe sich die PDS bei ihrem Schmusekurs mit der Zielrichtung auf eine rot-rote große Koalition derart weit auf die SPD zubewegt, daß sie von dieser kaum noch zu unterscheiden sei. In ihrer Sehnsucht nach Macht prostituiere sich die PDS gegenüber der SPD in einem nie gesehenen Ausmaß.

Die FDP scheiterte gestern erwartungsgemäß wie schon 1994 an der 5-Prozent-Hürde. Die Partei der Besserverdienenden konnte mit ihren neoliberalen Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik bei der von Arbeitslosigkeit gebeutelten Bevölkerung erneut nicht landen. Daß überdies die rechtsextremen Parteien - eine der größten Unbekannten der Landtagswahl - den Sprung ins Parlament nicht schafften, könnte auch ein Ergebnis der gewandelten öffentlichen Stimmung im Lande sein. Erst vor Wochenfrist war es anläßlich einer NPD-Wahlkundgebung in Rostock in verschiedenen Orten zu Gegendemonstrationen gekommen, an denen mehr als 10 000 Menschen teilnahmen.

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