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wmm Gibt es Mittel gegen »Zeugenunlust«?

Vorschläge für besseren Schutz unterbreitet Von Claus Dümde

  • Lesedauer: 3 Min.

Zeugenaussagen sind für Strafprozesse oftmals entscheidend. Doch die Bereitschaft dazu geht zurück. Was dagegen getan werden kann, war ein Thema des 62. Deutschen Juristentages.

Warum erstattet in Deutschland jedes siebte Opfer einer Gewalttat keine Anzeige? Zweifellos oft aus Angst vor Rache der Täter Auf dem jüngsten Juristentag, bei dem von Dienstag bis Freitag voriger Woche in Bremen rund 2000 Teilnehmer über aktuelle rechtspolitische Probleme berieten und Vorschläge verabschiedeten, wurde zugleich auf ein weiteres Motiv verwiesen: Auch Gewaltopfer müssen als Zeugen aussagen. Und sie erfahren dabei, so Prof. Thomas Weigend, Gutachter im Arbeitskreis Zeugenschutz, durch Polizei und Gerichte nicht selten eine »schäbige Behandlung«. Prof. Dieter Rössner konsta-

tierte, neun von zehn Zeugen fühlten sich nicht ausreichend ernst genommen.

Daraus erwächst ein Phänomen, das Juristen »Zeugenunlust« nennen. Sich damit abzufinden, ist keine Lösung. Denn gerade in Strafverfahren, in denen es weder Geständnisse noch unabweisbare Indizien gibt, sind Zeugenaussagen für das Gericht bei der Wahrheitsfindung unerläßlich.

Was gegen »Zeugenunlust« getan werden kann und muß, wurde unter den Strafrechtlern kontrovers diskutiert. Einig war man sich, daß Zeugen generell nur geladen werden, wenn dies wirklich erforderlich und ihnen zumutbar ist. Prof. Weigend vertrat die Auffassung, daß ihr persönlicher Lebensbereich bei der Befragung durch die Prozeßbeteiligten stärker geschützt werden muß. Dem wurde entgegengehalten, daß sich vor allem bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, etwa Vergewaltigung in der Ehe, die Aufklärung des Sachverhalts zwangsläufig auch in der Intimsphäre bewegen muß. Um solche »Opferzeugen« besser zu

schützen, regte Prof. Dagmar Oberlies an, ihnen das Recht einzuräumen, sich nur einmal vernehmen zu lassen. In seine abschließenden Empfehlungen nahm das der Juristentag auf Besonders schutzbedürftige Zeugen, vor allem Kinder, sollen künftig möglichst nur zu Beginn der Ermittlungen von einem Richter im Beisein des Angeklagten befragt werden.

Jugendliche unter 16 Jahren sollen ebenso wie »gefährdete« Zeugen grundsätzlich unter Auschluß der Öffentlichkeit gehört werden. Ein Recht auf Aussageverweigerung für den persönlichen Lebensbereich wurde hingegen abgelehnt. Allerdings sollte stärker davon Gebrauch gemacht werden, bloßstellende Fragen zurückzuweisen. Ferner empfahl der Juristentag, das in der Strafprozeßordnung verankerte Aussageverweigerungsrecht auf nichteheliche, auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner von Beschuldigten sowie auf Drogenberater auszudehnen.

Keine Chance hatten hingegen Vorstö-ße, die darauf zielen, daß »gefährdete« Zeugen, darunter verdeckte Ermittler und Informanten der Polizei, im Zeugenstand ihre Identität nicht preisgeben müssen. Vorschläge reichten von einer Spanischen Wand im Gerichtssaal über Gesichtsmasken und Stimmverzerrer bis zur Aussage an einem unbekannten Ort, nur durch Ton- und Bildleitung mit dem Gericht verbunden. Die Auffasung, daß durch solches »Kaspertheater« zwangsläufig der Beweiswert von Aussagen sinkt, setzte sich durch.

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