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a Nötig ist knallharter Klassenkampf

Parteichef Heinz Stehr über das Auf und Ab in 30 Jahren kommunistischer Politik

  • Lesedauer: 5 Min.

Vor 30 Jahren, am 26. September 1968, wurde in Bonn die Konstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bekanntgegeben - zwölf Jahre, nachdem in der Bundesrepublik die KPD verboten worden war ND sprach mit dem DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr (52), dessen Partei heute 6700 Mitglieder zählt, davon 350 im Osten.

ND-Foto: B. Lange

Ewald Stiefvater, zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Aber ich habe auch erlebt, daß die Genossen politisch weitergearbeitet haben, daß sie nach neuen Wegen suchten. Beispielsweise kandidierten Anfang der 60er Jahre Genossen bei Wahlen als unabhängige Kommunisten. Das war eine mutige Sache.

? Welche Absprachen mit der Regierung gingen der Neukonstituierung der kommunistischen Partei 1968 voraus?

Also, der entscheidende Grund, warum die DKP legal werden konnte, waren die Massenbewegungen Ende der 60er Jahre. Das politische Klima hatte sich verändert. Außer in der Türkei gab es in Europa kein Verbot einer kommunistischen Partei. Hinzu kam der Anspruch von Willy Brandt, mehr Demokratie zu wagen. Natürlich gab es auch Gespräche. So hat es Kontakte mit Gustav Heinemann gegeben, der sich für legale Betätigungsmöglichkeiten von Kommunisten einsetzte. Auch ausländische kommunistische Parteien führten Gespräche und übten vor allem Solidarität.

? Wäre die Neukonstituierung denkbar gewesen, ohne daß die DDR existiert hätte, die damals im Westen allmählich Anerkennung fand?

Das war sicherlich ein Grund. Es gab im Sozialismus zu jener Zeit viel Positives, was natürlich das Meinungsbild veränderte. Und in Westeuropa herrschte eine Aufbruchsituation. In dieser Situation konnte das Verbot überwunden werden.

? Im Lauf der Jahre entstand eine sehr enge Bindung der DKP an die SED. Entsprach das noch dem Vorsatz, den Weg der DDR, der SED nicht schematisch nachzuv ollziehen ?

Man darf zwei Dinge nicht verwechseln. Richtig ist, daß wir als Kommunisten immer gefordert wurden, uns zur DDR zu positionieren. Das hat es uns oft leichter, manchmal aber auch > schwerer gemacht. Aber wir waren schon eine bundesdeutsche Partei. Das darf niemand unterschätzen. Wenn man unsere Vorstellungen für eine sozialistische Zukunft nachliest im Mannheimer Parteiprogramm von 1976, dann wird man Unterschiede zu den konkreten Sozialismusinhalten in der DDR und anderswo feststellen. Wir wären ja auch niemals akzeptiert worden, im Betrieb oder in verschiedenen Bewegungen, wenn wir nur verlängerter Arm der SED gewesen wären.

Unser Verhältnis zum realen Sozialismus konnte nur grundsätzlich positiv sein. Heute stellt man sich natürlich die Frage, ob wir immer klug beraten waren, so ohne Wenn und Aber jedes Detail zu verteidigen.

? Ist die PDS für die DKP eher Konkurrenz oder eher Partnerin?

Ich sehe, wenn Sie mich persönlich fragen, die PDS eher als Partnerin, weil in wesentlichen politischen Fragen eine Zusammenarbeit stattfindet. Das verlan-

gen einfach die Verhältnisse. Aber im Kampf um die Köpfe konkurrieren wir natürlich. DKP und PDS unterscheiden sich in Strategie und Taktik. Die DKP will eine Partei der wissenschaftlichen Weltanschauung sein und bleiben.

? Warum gibt es Ihrer Meinung nach angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen, des Sozialabbaus eigentlich keine Massenbewegung dagegen?

Offenbar sieht die Masse der Leute keine Alternative zur Standortpolitik. Das geht weit bis ins linke Lager hinein. Wir haben ja heute eine andere Situation als in den 70er, 80er Jahren, als man wirklich über progressive Reformen diskutieren konnte. Heute muß man Reformen knallhart gegen das Kapital durchsetzen. Du kriegst doch so etwas wie den Kampf um weitere Arbeitszeitverkürzung nur durch knallharten Klassenkampf durchgesetzt. Das wissen natürlich die Gewerkschafter und die linken Sozialdemokraten. Diesen Schritt zu tun, jetzt zu sagen, wir müssen - in Richtung Antikapitalismus und auf außerparlamentarische Bewegung orientiert - eine neue Politik durchkämpfen, diese Erkenntnis fehlt noch. Die Gewerkschaften bieten keine Alternative an, in der sich Unzufriedene massenhaft wiederfinden könnten, die SPD auch nicht. Und die PDS ist im Westen weitgehend isoliert. Und über DKP-Politik ist kaum etwas bekannt. Die findet nicht statt in den meisten Medien.

? Als die DKP sich 1968 konstituierte, war ein wesentlicher Punkt für die Initiatoren der anwachsende Rechtsextremismus. Damals vor allem durch die NPD vertreten, die fast in den Bundestag gekommen wäre. Heute befinden sich rechtsextreme Parteien wieder im Aufwind. Wie kann man diesem massiven Rechtsruck begegnen?

Zunächst. Ich halte die Betonung rechtsradikaler Tendenzen im Osten für Quatsch. Es gab im Westen immer um die 20 Prozent, die unter bestimmten Bedingungen bereit waren, rechtsextrem zu wählen. Eine Auseinandersetzung mit den Nazis, mit rechter Politik überhaupt, bedeutet eine Auseinandersetzung in Demokratie- und Sozialfragen. Man muß da schon auf die Ursachen von Faschismus zurückkommen.

Und auf historische Fakten. Bei mir zu Hause in Elmshorn bei,Hamburg veranstaltet ein Antifa-Bündnis jedes Jahr einen Stadtrundgang. Kaum ein Einwohner weiß, daß hier mal 2300 Zwangsarbeiter gewesen sind. Kaum einer weiß, daß in einem Prozeß, in dem vor allem Kommunisten angeklagt waren, Anfang der 30er Jahre schon 250 Menschen verurteilt worden sind. An Hand solcher Dingen muß die Auseinandersetzung geführt werden. Man muß auf die jungen Leute zugehen, sie mit diesen Fakten konfrontieren. Und man darf den Nazis keine Hand reichen. Überall, wo sie organisiert auftauchen, muß ein möglichst breites Gegenbündnis aktiv werden. Eigentlich darf es keine Naziaktion geben, die nicht irgendwie von links beantwortet wird.

Und das Klima muß verändert werden. Wer gegen den Faschismus ist, muß ein Stück weit auch gegen den Kapitalismus sein. Nicht zuletzt, weil die CDU weitgehend Republikaner- und NPD-Positionen übernommen hat. Das ist eigentlich die gefährlichste Variante. Insofern steht Antifaschismus auf der Tagesordnung.

Interview Wolfgang Hübner

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