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Krise und Perspektive deutscher Umweltpolitik Von Carsten Krebs, Danyel Reiche und Max Schön

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Stellenwert von Umweltpohtik ist in der Bundesrepublik derzeit gering auch in Zeiten des grünen Fünf-Mark-Beschlusses und der Streitereien zwischen CDU und CSU über die Einführung einer Energiesteuer.

Trotz der. medialen Konjunkturspritze bleibt das Grundproblem bestehen: Die nationale Umweltpolitik steckt in einer strukturellen Krise. Im Zuge wirtschaftlicher Rezession und gesellschaftspolitischen Stillstands verhallen Appelle für eine Politik der Nachhaltigkeit und damit der strukturellen Ökologisierung ungehört (»äußere Dethematisierung«). Umweltpolitik bleibt weiter in der öffentlichen Wahrnehmung verfangen, nur eine Schön-Wetter-Aufgabe zu sein, die lediglich zu konjunkturellen Hoch-Zeiten zu realisieren sei. Das gesellschaftliche, das »äußere« Umfeld sieht in immer geringerem Maße die Notwendigkeit, umweltpolitisch zu handeln. Es werden andere Prioritäten gesetzt - gut erkennbar ist dies an jüngsten Umfragen, nach denen Umweltschutz im Gegensatz zu frü-

heren Zeiten nur noch im hinteren Mittelfeld der wichtigsten Probleme rangiert.

Dazu kommt eine »erfolgsimmanente Dethematisierung«, die paradoxerweise in einigen zarten Umweltverbesserungen begründet liegt. In den vergangenen Jahren vollzog sich ein Paradigmenwechsel der ökologischen Problemlagen. Früher waren es die erfahr- und sichtbaren sowie auch zu politisierenden Umweltprobleme, die im Bereich der Gewässer- und Luftverschmutzung sowie einzelner Giftstoffe auch dazu geführt haben, ein breites Netz von Bürgerinitiativen zu etablieren. Die bundesdeutsche Gesellschaft wurde - dem Freund-Feind-Schema entsprechend auch durch spektakuläre Aktionen in Greenpeace-Manier - umweltpolitisch sensibilisiert. Lokale, oft auch staatenübergreifende Umweltrisiken, wurden teilweise erfolgreich zurückgedrängt. Im Rhein schwimmen jetzt wieder Fische, der Himmel im Ruhrgebiet und anderswo hat sich aufgeklart, FCKW und Giftstoffe wie Dünnsäure und einzelne Chemikalien wurden verboten oder substituiert. Umweltpolitik hat also ihre Schuldigkeit getan? Mitnichten.

Heute stehen wir vor graduellen Umweltverschlechterungen, die sich über Medien, Bürger-Initiativen und Parlamente schwerer thematisieren lassen. Fortschreitende Landschaftszerstörung,

Flächenverbrauch, Boden- und Grundwasserverschmutzung (lokal) und Klimaschäden, Ozonloch, Artenschwund und Wüstenbildung (global) sind die neuen ökologischen Problemfelder, die zukünftig auf der Agenda der Umweltpolitik stehen. Oft unsichtbar, meist nicht wahrnehmbar, schwer zu politisieren - mit der Folge, daß mit breitem Rückenwind von Seiten sozialökologischer Bewegungen trotz leicht steigender Mitgliedszahlen bei Umweltverbänden kaum zu rechnen ist. So bleibt eine große Bürgerinitiative gegen den Flächenverbrauch eher schwer vorstellbar

Und drittens resultiert die strukturelle Krise der Umweltpolitik aus ihrer institutionellen Verankerung samt ihrem additiven Charakter Das Bonner Umweltministerium wurde 1986, nach Tschernobyl, aus der Taufe gehoben, ohne die Bereiche Wirtschaft, Verkehr, Energie und Landwirtschaft administrativ mit einzubeziehen. Das Umweltministerium wurde als weiteres, zusätzliches Ministerium draufgesattelt - ohne administrative Kompetenz in den umweltrelevanten Sektoren.

Zu diesen negativen Merkmalen kommt der Paradigmenwechsel umweltpolitischer Strategien. Wir stehen vor einer Zäsur- vom nach- zum vorsorgenden Umweltschutz. Wurde in der Vergangenheit auf die Emissionsquelle ein Filter gepfropft oder ein Grenzwert festgelegt, gilt es heute, die Schäden erst gar nicht entstehen zu lassen. Wie soll aber der Paradigmenwechsel eingeleitet werden, wenn sich einerseits die Probleme und andererseits die Akteure im inner- wie au-ßerparlamentarischen Bereich kaum mehr politisieren lassen?

Der Ausweg kann nur darin bestehen, daß sich der Staat seiner umweltpoliti-

schen Zielbildungsfunktion verstärkt bewußt wird und diese zurückerobert. Zwei Strategien sind dabei unerläßlich: Um alle Politikbereiche auf eine konsequente Umweltpolitik zu verpflichten, brauchen wir einen »Plan für ein nachhaltiges Deutschland/Nationalen Umweltplan«. Dort sind langfristige staatliche Umweltziele verbindlich festzulegen. Davon profitieren vor allem die schleichenden, nicht ohne weiteres zu politisierenden Umweltprobleme, etwa der zunehmende Flächenverbrauch. Zwei Drittel aller Industrieländer verfügen bereits über die eine oder andere Variante der Umweltplanung. Doch die Bundesregierung scheint Angst vor solch einer institutionellen Verankerung zu haben, hätte dies doch zur Folge, daß die eigenen Ziele an der Realität meßbar sind.

Zweitens brauchen wir eine Ökologische Steuerreform (ÖSR), bei der die Energiesteuer-Einnahmen zur aufkommensneutralen Senkung der Arbeitskosten verwendet werden. Durch die schrittweise und langfristige Energieverteuerung wird Umweltpolitik fernab politischer Stimmungen strategiefähig und wieder fester Bestandteil nationaler Politik. Durch flexible Ausgestaltung (etwa mit gestaffelten Energiesteuersätzen) kann man auch den Bedenken der Industrie gerecht werden. Dann dürfte die ÖSR tatsächlich zu weniger Umweltverschmutzung und zu zusätzlichen Arbeitsplätzen führen. Es ist zu wünschen, daß die neue Bundesregierung umweltpolitischen Neuerungen wie den Umweltplan oder eine ÖSR ganz oben auf der Agenda ansiedelt.

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