nd-aktuell.de / 07.10.1998 / Kultur / Seite 11

Luigi Lucheni

Luigi Lucheni sticht »Sisi« nieder, Genf, 10. September 1898 Tausende von Biographien sind über Elisabeth I., »Sisi«, erschienen; hunderte zu ihrem 100. Todestag. Niemand interessierte sich

indes für Luigi Lucheni, den Attentäter Es ist dem Schweizer Santo Cappon zu danken, den italienischen Anarchisten vorzustellen (Luigi Lucheni: »Ich bereue nichts!«, Paul Zsolnay Verlag, 256 S., geb., 39,80 DM). Finderglück war Cappon hold; er entdeckte in Dokumenten seines Vaters fünf alte Schreibhefte - die fragmentarischen Lebenserinnerungen Luchems, die »ein völlig neues Licht auf eine Geschichte werfen, von der man alles zu wissen glaubte« Anhand der Selbstzeugnisse porträtiert er den im Aril 1873 in Paris als Sohn eines armen italienischen Dienstmädchens

Geborenen, dem das Leben arg mitspielte - bis er eben beschließt, einen Vertreter der verhaßten Aristokratie für die schreienden Ungerechtigkeiten »büßen« zu lassen. Mark Twain schrieb damals einen Artikel, der erst 1996 im Internet veröffenticht wird: »Nicht einmal der Mord an Cäsar vermochte die Welt wohl so zu

erschüttern wie der an Elisabeth ... Am untersten Ende der menschlichen Stufenleiter ohne Gaben, ohne Talent, ohne Bildung, ohne Moral, ohne Charakter, ohne jede innere Anmut hat er (L) in nur fünf Minuten alle Politiker, Verkäufer der Nächstenliebe, Bandenchefs, Fahrrad-Champions, Gesetzlose und sonstige Napoleone in den Schatten gestellt!« Daß Lucheni nicht ganz ohne Gaben war, beweisen die erstmals veröffentlichten Erinnerungen. Im Eveche-Gefängnis bildete er sich autodidaktisch weiter, um sich der Nachwelt zu erklären. Doch dies wurde nicht geduldet, seine Memoiren wurden kassiert. Im Oktober 1912 stirbt er in der Zelle unter mysteriösen (Selbstmord?) Umständen. K.V