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etwas, das bleibt

  • Michael Herms
  • Lesedauer: 3 Min.

und seines von kommunistischer Utopie geprägten humanistischen und noch heute rezipierten literarischen Werks. Da sind familiäre Erfahrungen mit Flucht und Exil; das für »Mischa« so prägende Moskau; die Sowjetunion im Kampf gegen nazistischen Größenwahn und Völkermord; da sind spät ausgegrabene jüdische Wurzeln. Da ist die bekannte Biographie des Bruders; dessen angedachtes und durch Markus vollendetes Projekt der »Troika« und der damit verbundene Anspruch, mittels Geschichtsaufarbeitung den verbürokratisierten Staatssozialismus doch noch reformfähig zu gestalten. Zu spät? Sicher Zu zaghaft? Wahrscheinlich. Zu aussichtslos? Leider! Und da ist der Unterschied zum Lebenswerk des Bruders: »Bei ihm ist es einfach, da kann man sagen, es gibt die Filme ..., das ist etwas, das bleibt. Insofern ist er mir gegenüber im Vorteil.« Wolfs Nachteil: die »Last eigener Vergangenheit«. 33 Jahre in führender Position im MfS werden am 4. November 1989 mit Pfiffen quittiert, führen mit Beginn der staatlichen Wiedervereinigung neuerlich ins »Exil«. Der Einigungsvertrag hinterläßt Lücken. Sachverhalte, die politischer Auseinandersetzung bedürften, werden im wiedervereinigten

Deutschland mit großem Aufwand justitiabel. Wolf stellt

Markus Wolf. Die Kunst der Verstellung. Dokumente, Gespräche, Interviews. Hg. v Günther Drommer Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 1998. 350 S., br, 29,80 DM.

sich dem schließlich und läßt zwei langwierige Prozesse, Urteile, Untersuchungs- und Beugehaft über sich ergehen, nicht ohne öffentliche Auftritte. Er sieht sich als Opfer einer politischen Justiz, hegt Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren, stellt sich moralisch vor das Tun seiner Leute. Dabei weiß er um seine Rechte und versteht, sie gegenüber der dritten und der »vierten« Gewalt, den Medien, zu nutzen. Zum Schweigen ist er nicht verurteilt. Dieser grundlegende Unterschied zu den Möglichkeiten angeklagter DDR-Oppositioneller verliert sich in vergleichenden Betrachtungen zum Thema »Rechts- und Unrechtsstaat«. Kunst der Verstellung? Ob vor Gericht oder in den Medien: Wolf erzählt die Familiengeschichte, berichtet über Faschismus und Krieg, die erstrebte gesellschaftliche Alternative einer antifaschistischen DDR. Einer zunehmend kritischen Distanz zum MfS als Repressivorgan stellt er die von ihm geleitete Auslandsspionage als »Nische« und deren Chef als »einen von vielen« Spionagechefs im Kalten Krieg ge-

genüber. Gierige Medien schicken neugierige Journalisten: das Fernsehen, der »Spiegel«, die »Wochenpost«, die »Bunte«, der »Playboy« (any press is good press). So viele Klischees, so viele Fragen, so viele Antworten! Mal macht es sich der Interviewte nicht leicht (moralische Verantwortung), mal tut er sich schwer (Verhältnis zur Macht), nicht selten erscheinen Redundanz und Wiederholungen als kalkulierte Absicht. Egal, die Redaktionen akzeptieren, wägen das unterschiedliche Echo gegen die Verkaufsträchtigkeit ab. Ihre

Interviews verleihen dem immer noch interessanten »Mann ohne Gesicht« Konturen. Echte oder beabsichtigte - Wolf jedenfalls, weiß sie zu nutzen. Auch in diesem Buch. Es basiert vor allem auf einer Zusammenfassung veröffentlichter Interviews aus der Zeit zwischen 1989 und Juli 1998,

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