nd-aktuell.de / 07.10.1998 / Kultur / Seite 13

Abenteurer Jung

Bärbel Schrader

schees zu schauen, die Motivationen freizulegen, die das bewegte Leben Jungs ausgemacht haben.

Seit mehr als 30 Jahren beschäftigen sich Fritz und Sieglinde Mierau, die Mitherausgeber der Werkausgabe bei Nautilus, mit diesem Autor - einem exemplarischen Schicksal in diesem Jahrhundert, einem Leben, an dem sich so etwas wie eine Jahrhundertbilanz festmachen läßt. Eine Bilanz des Scheiterns großer Ideen ...

Fritz Mierau: Das Verschwinden des Franz Jung. Edition Nautilus, Hamburg 1998. 200 S., geb., 34 DM.

Im ersten großen Teil des Essays unter dem Titel »Vorarbeit«, erzählt Mierau von der widersprüchlichen Existenz Jungs, von jenem sensiblen, feinfühligen »Schlesischen Mystiker«, der aus seiner Lebensangst heraus, seiner Bindung an den Katholizismus (beeindruckt u. a. von

den Ideen Thomas von Kempens in dessen Buch »Nachfolge Christi«), beeinflußt von psychoanalytischen Studien (zusammen mit seinem Freund Otto Gross) und als ausgebildeter, in führenden Wirtschaftsverlagen tätiger Nationalökonom mit der Fähigkeit zu Distanz und scharfer Analyse Theorien eines Lebensprogramms entwirft, das zu einer neuen Form von Gemeinschaft führen, neue Konventionen in den Beziehungen von Menschen auf-

richten soll, mit denen man die allgemein herrschende Lebensangst produktiv überwinden kann. Sein Ideal ist, Gegensätzliches zu binden, ohne es auszugleichen...

»Heimwärts«, der zweite Teil des Essays, setzt 1955 ein, dem Zeitpunkt, als Jung nach elf Jahren aus den USA kommend, zum ersten Mal wieder Deutschland betritt. Es geht um Jungs Autobiographie, die nicht zuletzt der alte Freund Karl Otten von ihm abgefordert hat und von der sich der Verlag, der sie drucken will, eine Chronik des Jahrhunderts verspricht. Als das Buch herauskommt, ist es eine schonungslose Selbstabrechnung, in der sich das Jahrhundert als Groteske

spiegelt. Entsprechend die Rezeption. Begeisterung bei einstigen Weggefährten wie Raoul Hausmann, rigide Abwehr bei früheren Freunden wie Wieland Herzfelde, Prozeßandrohung bei Betroffenen, was die NS-Zeit betrifft. Zurückgekehrt ist er als einer, der weiß, daß man ihn nicht braucht, weil er als Autor nie daran gedacht hat, »sich der Literaturgeschichte wegen aufzugeben«. Und er ist einer, an dem ein Makel klebt. Er ist kein wirklicher Emigrant, man ahnt oder weiß, er hat von Ungarn aus mit den Nazis paktiert. Von Canaris ist die Rede ...

Eine spannende Biographie und ein mit Eleganz geschriebenes Buch.