nd-aktuell.de / 07.10.1998 / Kultur / Seite 14

Düstere Normalität

Ulrich Sander

Wehrmachtstraditionen werden unverhohlen verteidigt, rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr unter »Einzelfälle« abgelegt. Mit »Vorbild Wehrmacht?« (was soll das Fragezeichen?) liegt nun ein Buch vor, das zur Sprache bringt, was der Verteidigungsausschuß des Bundestages bei der Untersuchung »rechtsextremer Umtriebe« aussparte: die Wirkungen der »zeitlosen Werte« und Traditionen einer »sauberen« Wehrmacht auf eine wieder aufstrebende deutsche Militärmacht, auf deren Geist, deren Verfassung.

Wer entsetzt ist über die Gewalt und Gewaltbereitschaft von Neonazis in Uniform, darf nicht die Gewaltbereitschaft der neuen Militärdoktrin des vereinigten Deutschlands übersehen. »Die von politischer Seite seit 1990 verkündete >Neue Normalität< wird von etlichen Soldaten auch als Erlaubnis zum Rückgriff auf Wehrmachtstraditionen verstanden«, bemerkt Johannes Klotz. Gerd Wiegel verweist auf die un-

Johannes Klotz: Vorbild Wehrmacht? Wehr-

machtsv erfrechen, Rechtsextremismus und Bundeswehr PapyRossa Verlag, Köln 1998. 174 S.. geb., 24,80 DM.

selige Tradition des deutschen Machtstaates ab 1871. Und Reinhard Kühnl beschwört diese als aktuelle Gefahr, zugleich daran erinnernd, daß das 1871 gegründete Deutsche Reich Voraussetzungen schuf, die den deutschen Faschismus ermöglichten ...

Die Legitimierung deutscher Kampfeinsätze in Bosnien mittels einer besonderen »moralischen Verpflichtung« der Deutschen angesichts ihrer Geschichte, wie von Rühe über Scharping bis Fischer zu hören war, ist heuchlerisch. Denn: »Die Ausweitung des Instrumentariums imperialistischer Machtpolitik wird so zur verantwortungsbewußten moralischen Läuterung verklärt«, heißt es in dem Buch. In der Tat, Lehren aus der Geschichte ziehen, meint etwas ganz anderes...